Im Labor trifft BWL auf Physik, Chemie und Soziologie – Universität und Hochschule Bielefeld arbeiten gemeinsam im Projekt InCamS@BI

Bielefeld, 5. Juli 2023

InCamS@BI will dem Transfer der HSBI neue Impulse verleihen. Im Zentrum des Projekts steht die Frage, wie Unternehmen in OWL das Handling von Kunststoffen in einer zirkulären Wertschöpfung gestalten können. Unverzichtbar: ein interdisziplinärer Ansatz von Wirtschaftswissenschaften und Naturwissenschaften sowie eine enge Kooperation mit den Forschenden der Universität Bielefeld. Bei einem Besuch in zwei Universitätslaboren wird deutlich, wie Oberflächenstrukturen von Kunststoffen analysiert werden, um unter anderem ihre #Recyclingfähigkeit einschätzen zu können – und wie eine »grüne Chemie« aufgezogen wird, die nicht in Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion steht.

Weißes #Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln, in der Hand einen sogenannten Zug Knochen aus weißem Kunststoff und im Hintergrund einen Bildschirm voller Graphen und Diagramme, rechts daneben ein kompliziert aussehendes Gerät, das an ein Mikroskop erinnert – insgesamt ein eher ungewöhnliches Setting für Prof. Dr. Tim Kampe. Er lehrt Allgemeine BWL an der Hochschule Bielefeld (HSBI), ist Wirtschaftsprüfer und Steuerberater und engagiert sich für Unternehmensgründungen. Seit Anfang 2023 ist er zudem Mentor der Forschungsgruppe Innovationsmanagement im interdisziplinären Projekt InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions. Das Ziel: InCamS@BI will eine Circular Economy, also eine zirkuläre Wertschöpfung, für #Kunststoffe in #OWL schaffen – und dabei den Transfer der HSBI modernisieren. Damit einhergehen soll eine Verbesserung der Langlebigkeit und Robustheit von Kunststoffprodukten sowie eine ressourcenschonende Herstellung. Das Projekt besteht insgesamt aus 7 Forschungsgruppen, in denen Technologiescouts und #Referenten mit #Mentoren gemeinsam an Lösungen arbeiten. Dabei sind einige im Creative Lab tätig, in dem die Ideen generiert, und einige im Innovation Lab, in dem diese weiterentwickelt werden sollen.

Heute ist Kampe gemeinsam mit #Kollegen aus dem Projekt zu Gast in den Laboren der Experimentalphysik an der Universität Bielefeld. Das Labor, in dem sich die Gruppe trifft, gehört zur InCamS@BI Forschungsgruppe Analytik und Materialentwicklung. Gastgeber für ihre #Kollegen sind Prof. Dr. Andreas Hütten und Prof. Dr. Dario Anselmetti. »Das Gebäude hier ist gebaut wie ein Bunker. Die Decken sind einen Meter dick, damit die Magnetfelder nicht gestört werden und sich Vibrationen von Straßenbahn und Baustelle nicht übertragen – denn das wäre fatal für unsere sehr genauen Messungen«, erklärt Hütten. Neben den Mentoren Kampe, Anselmetti und Hütten sind auch Prof. Dr. Sonja Schöning, Physikerin, Prof. Dr. Harald Gröger, Chemiker, sowie Melanie Wilde, Projektleitung und Soziologin, vor Ort. Hütten und Anselmetti zeigen ihren fachfremden Kollegen, welche Potenziale sich in den Laboren der Experimentalphysik für das Projekt bieten.

Kunststoffe als wertvolle und vor allem wiederverwendbare Ressourcen betrachten

Am Rasterkraftmikroskop zeigt Andreas Hütten der Gruppe, wie Oberflächenstrukturen analysiert werden – zum Beispiel die Oberfläche des Zug Knochens. »Aus der Produktsicht haben Kunststoffe eine enorme Vielzahl positiver Eigenschaften – das erklärt den Erfolg dieser Materialgruppe«, so Sonja Schöning. Allerdings schaut die Produktentwicklung derzeit noch zu wenig darauf, wie es mit den Kunststoffen am Ende des Produktlebenszyklus weitergeht. Der unbefriedigende Status Quo ist ein umständliches Recycling von Kunststoffen, bei dem die Wiederverwertung je nach Material anspruchsvoll oder gar nicht möglich ist. »Deshalb sehen wir den größten Stellhebel von InCamS@BI darin, Kunststoffe als wertvolle Rohstoffe zu betrachten, die von Beginn an im Sinne der zirkulären Wertschöpfung entwickelt, designt, produziert und weiter bzw. wiederverwendet werden«, erklärt die Leiterin des Innovation Labs eines der Ziele des Projekts.

Innovationen ermöglichen

Tim Kampe kennt die Sicht der #Wirtschaft: »Für die Unternehmen ist es eine Herausforderung, das Thema ganzheitlich zu betrachten, da ihnen oft Ressourcen und teilweise auch das Know how fehlen.« Sie wissen daher oft nicht, wo sie beginnen sollen und haben keine Mittel, Innovationen zu entwickeln, die den Einstieg in eine Circular Economy ermöglichen. »Da besteht Bedarf nach Unterstützung, beispielsweise wenn die Produktentwicklung kundenorientiert erfolgen soll. Es ist immer eine Herausforderung, im Innovationsprozess die verschiedenen Perspektiven zu erfassen, zusammenzubringen und schlussendlich auch zu berücksichtigen«, berichtet der Wirtschaftsexperte.

Die Aufgabe von Kampe und dem Team Innovationsmanagement ist es, solche Innovationen zu ermöglichen. Mit Kreativität wollen sie Unternehmen beim Finden und Umsetzen neuer Lösungen unterstützen. »Transfer sollte weniger ein ›Wie bekommen wir das Wissen aus den Hochschulen in die Unternehmen?‹ sein, sondern mehr ein ›Wo und wie finden wir Unternehmen, mit denen wir gemeinsam Wissen hervorbringen können?‹«, lautet Kampes Standpunkt. »Wir wünschen uns, dass die #HSBI von Unternehmen als Ressource für Innovationsentwicklung gesehen wird – dafür müssen und möchten wir uns jetzt entsprechend positionieren.«

Das subatomare Level

Die Gruppe zieht weiter: Im nächsten Raum ist ein Gerät zu sehen, dass aus zahlreichen Stahlrohren besteht. Die Oberfläche glänzt. An einigen Stellen lassen kleine Fenster einen Blick in das Innere zu. Mit speziellen Greifzangen, den sogenannten Wobble Sticks, kann man eine Probe von einer Unterdruckkammer in die nächste schleusen. Insgesamt vier Kammern gibt es, in jeder sinkt der Druck weiter, bis die Probe schließlich in der Messkammer ankommt. Dort gibt es nahezu keinen Sauerstoff mehr und vor allem keine Feuchtigkeit. Perfekte Bedingungen, um die subatomare Auflösung der Oberflächenstruktur von Kunststoffen zu analysieren.

Einige der InCamS@BI Mentoren kennen sich schon aus anderen Projekten: Sonja Schöning und Andreas Hütten haben beispielweise schon im #CIMT, dem Centrum für interdisziplinäre Materialforschung und Technologieentwicklung, gemeinsam an der Alterung von Kunststoffoberflächen geforscht. »Unser Fokus lag dabei auf Polypropylen Werkstoffen. Jetzt möchten wir sozusagen unsere Datenbank erweitern und auch die Alterung anderer Kunststoffe untersuchen. Gemeinsam mit den Forschenden aus der organischen Chemie der Universität Bielefeld haben wir die Möglichkeit, hochauflösende Analytik sowohl aus chemischer als auch physikalischer Sicht durchzuführen. Das Wissen über die Alterungsprozesse, und auch über die Rolle der zugefügten Additive, wollen wir Unternehmen zur Verfügung stellen«, so Hütten.

Harald Gröger, der sich schon seit vielen Jahren mit »grüner Chemie« beschäftigt, sieht eine Schlüsselfrage in der gezielten Nutzung einer bio basierten Rohstoffbasis für die Kunststoffproduktion: »Welche neuen Verfahren zur Herstellung und zum Abbau von Kunststoffen gibt es? Wie können wir Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen in nachhaltiger Weise herstellen? Und: Wie können wir diese auf nachwachsenden Rohstoffen basierenden Kunststoffe ökonomisch im industriellen Maßstab produzieren?« Eine weitere Aufgabe: Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen müssen für viele Anwendungsfelder dieselben Eigenschaften aufweisen, wie die aktuellen – sonst können sie von den Unternehmen oft nicht verwendet werden. Die Herausforderung liegt hier zusätzlich darin, bei bio basierten Rohstoffen auf Nutzpflanzen zu verzichten, die zur Nahrungsmittelherstellung verwendet werden.

»Wir wollen homogene disziplinäre Denkmuster durchbrechen«

Um ein gemeinsames Verständnis für die Inhalte und die Teammitglieder zu gewinnen, ist auch Melanie Wilde heute das erste Mal in einem waschechten Labor. Wilde ist Soziologin und hat zusätzlich #Psychologie und Informatik studiert – für ihre Forschung brauchte sie keine komplizierten Geräte, Reinräume oder Apparaturen. Jetzt ist sie Projektleiterin. Bei ihrer aktuellen Aufgabe hilft ihr akademischer Hintergrund: Ihr Fokus lag auf Transformationsprozessen und deren Wechselwirkungen – und genau das ist das Ziel des Projekts: eine gemeinsame Veränderung herbeizuführen. »Soziologie beschäftigt sich mit Strukturen. Sie betrachtet Prozesse auf unterschiedlichen Ebenen, was wir auch im Projekt brauchen – denn der Wandel hin zur zirkulären Wertschöpfung kann nur gelingen, wenn alle Ebenen sich beteiligen. Die großen, wie Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft, aber eben auch jede einzelne Person.« Für Wilde ist ganz klar die Interdisziplinarität der Schlüssel zum Erfolg von InCamS@BI: »Die Diversität der Forschenden und wirtschaftlichen Kooperationspartner erlaubt uns, homogene disziplinäre Denkmuster zu durchbrechen und innovative Lösungen für eine Kreislaufwirtschaft der Kunststoffe zu entwickeln.«Â 

Trial and Error

In allen Gesprächen heute klingt immer wieder durch: Dieses Projekt wird agil gedacht. Das sogenannte »Trial and Error«, also ausprobieren, validieren, überarbeiten und neu denken soll hier nicht nur auf dem Papier stehen, sondern in vielen Formaten umgesetzt werden. Dass heute so viele verschiedene Disziplinen zusammengekommen sind, die Spaß an der gemeinsamen Arbeit haben, ist ein guter Anfang.

Weitere Informationen

Mit InCamS@BI, dem Innovation Campus for Sustainable Solutions, positioniert sich die HSBI als innovative Transferakteurin im Feld der Kreislaufwirtschaft. In dem fächerübergreifenden Projekt werden Ideen generiert und Lösungen entwickelt, um Kunststoffe und deren Handhabung für eine Kreislaufwirtschaft zu optimieren. Mit innovativen Formaten und einem interdisziplinären Team gestaltet InCamS@BI den Austausch zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Es ist das erste Projekt, in dem forschungsbasierte Transferstrukturen systematisch entwickelt, aufgebaut und erprobt werden. InCamS@BI wird im Rahmen der Bund Länder Initiative »Innovative Hochschule« von 2023 bis 2027 gefördert. Mehr …

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