Die erste Einkaufspassage Leverkusens aus den 1960er Jahren lädt seit einiger Zeit nicht mehr zum Schaufensterbummel ein, weil immer mehr Geschäftsflächen verlassen wurden. Aber in der Leere liegt stets auch das Potential, über neue Möglichkeiten nachzudenken. »Bayer Kultur« und der Kunstverein Leverkusen haben daher Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich mit der »City C« kreativ auseinanderzusetzen und Projekte für die Schaufenster und den Raum zu entwickeln. Mit Unterstützung der Stadt Leverkusen wird die Passage jetzt zum öffentlichen Ausstellungsort auf Zeit, der wieder zum Flanieren und Schauen auffordert. Thema und Titel der Ausstellung sind »Lost Places«, denn die Innenstädte verändern sich und die derzeitige Pandemie wird diesen Prozess beschleunigen. »Mit der Ausstellung wollen wir dazu einladen, einen frischen Blick auf diesen faszinierenden Ort zu werfen«, so Thomas Helfrich, Leiter von »Bayer Kultur«. »Nach den lebhaften Diskussionen der vergangenen Jahre war es uns wichtig, den einstigen Konsumtempel ›City C‹ wieder in einen Ort der Sehnsucht zu verwandeln, den die Menschen gerne besuchen.«

Die »City C« als Kunstpassage

15 Künstlerinnen und Künstler, die in Nordrhein-Westfalen leben oder hier studiert haben, haben die Herausforderung angenommen und in den vergangenen Monaten für einzelne Orte Konzepte entwickelt, die sich zu einem abwechslungsreichen und inspirierenden Parcours ergänzen. Verbindend sind der Ort der Passage, der den Blick auf die Schaufenster lenkt, und die Fragestellung nach den »Lost Places«, die zum Nachdenken über Vergänglichkeit, unsere Einkaufs- und Konsumgewohnheiten, über die Glücksversprechen der Werbung und unsere Erwartungen an den urbanen Raum anregt. Die künstlerischen Interventionen reichen von Fotografie über Skulptur und raumbezogenen Werken bis zu multimedialen Arbeiten und Soundinstallationen. »Ich freue mich als Leverkusenerin sehr, dass wir die ›City C‹ für die kommenden Wochen mit neuen, positiven Erinnerungen aufladen«, so Susanne Wedewer-Pampus vom Kunstverein Leverkusen. »Die intensive und spannende Zusammenarbeit mit ›Bayer Kultur‹ zeigt auch, was möglich ist, wenn alle an einem Strang ziehen, um neue Perspektiven für eine lebendige urbane Stadtkultur zu schaffen.«

In der Eingangshalle von der Fußgängerzone der Innenstadt aus nimmt die Besucherinnen und Besucher eine Performance von Charlotte Triebus in Empfang. Die Intervention im Raum ist jederzeit auf dem privaten Handy individuell erlebbar, denn die Künstlerin hat zusammen mit dem von ihr geleiteten »Mirevi Lab« der Hochschule Düsseldorf eine interaktive Augmented Reality Performance entwickelt, bei der sich ihr Avatar durch den Raum bewegt. Der Avatar vervielfältigt sich, verschmilzt wieder zu einer Gestalt und reagiert vor allem auch auf die Betrachtenden.

Das Entrée zur Kunstpassage markieren große Fotoarbeiten von Andy Kassier, die die Ästhetik der Werbung aufnehmen. Seine konzeptuellen Selbstinszenierungen und Instagramstorys vermitteln das positive Gefühl und Glücksversprechen der Werbung und Hochglanzmagazine, um es gleichzeitig als visuelle Scheinwelten vorzuführen und ironisch zu brechen. 

In den ersten Schaufenstern der »Kunstpassage« hat Johanna Reich eine Mindmap des Zufalls installiert. LED-Leuchtschriften scheinen hinter einer großformatigen Malereifläche auf und geben Denkanstöße, wie »Neue Städte« vorstellbar wären. Die formulierten Fragen tauchen zufällig auf und regen den Passanten an, innezuhalten und den Ort »neu zu denken«. 

Auf den ersten Blick klassisch wirken die Skulpturen in den Schaukästen gegenüber von Frauke Wilken. Fünf beinahe lebensgroße Objekte aus Stoff hängen in den Vitrinen und muten amorph oder auch trotz ihrer glatten Oberfläche wie Pelzmäntel an. Doch wirken sie auch wie Kleidungssäcke, bereitgestellt, ausgepackt beziehungsweise abgeholt zu werden. Sie hängen dort wie Relikte eines ehemals lebendigen Warenaustauschs.

Die Inszenierung von Krzysztof Honowski und der Schauspielerin Laura Sundermann nimmt ebenfalls direkt Bezug auf die Situation der verlassenen Orte: Im ehemaligen Eiscafé Ducale erscheinen in Leuchtschrift zwei Sätze aus einem fiktiven Gespräch. Ein Gespräch, das möglicherweise vor längerer Zeit hier zwischen Einkaufsbummel und Eisgenuss hätte stattfinden können. Isoliert vor der Cafekulisse leuchten die Worte auf und können im Betrachtenden einen imaginären Film heraufbeschwören.

Die Skulpturen von Andreas Schmitten dagegen werden in einem bewusst kühlen »white cube« in dem verlassenen Kaufhaus gegenüber so platziert, dass der Kontext zwischen Schaufenster und Kunstraum changiert. Weiße Figurinen sitzen und lagern auf roten Sockeln. Sie erinnern in ihrer Inszenierung auf Sockeln an öffentliche Denkmäler und wirken doch fragil, zart und zeitlos.

Im Gegensatz dazu reizt Gereon Krebber bei seinen raumbezogenen Installationen gerade das Vergängliche. Er nutzt unterschiedlichste Materialien für seine plastischen Arbeiten und nimmt oft bewusst in Kauf, dass seine Werke nicht überdauern. Für die »City C« hat er eine Installation aus alten Straßenleuchten und Gittern, also Materialien aus dem urbanen Raum konzipiert. Die deformierten Laternen erobern als organische Formwesen nun den Raum vor dem verschlossenen Kaufhauseingang zurück.

Auch die Installation von Katja Davar reflektiert die Beziehung zwischen Natur, Gesellschaft und Technologie. Ihr Projekt für die längliche Schaufensterfront des früheren C & A-Kaufhauses besteht aus einer immensen Textilarbeit, auf der sie eine surreale und fast dystopische Landschaft ausbreitet. Inspiriert von dem Verkauf von 70 der spektakulärsten Meteoriten, die jemals gefunden worden sind, begann Davar einmal mehr über das westliche Konsumverhalten nachzudenken. 

Unser anachronistisches Verhältnis zur Natur reflektieren auch Heike Kabischs Fensterräume mit fragilen Pflanzenskulpturen. Die Gebilde erinnern durch ihr Blattwerk an Palmen und Bananenbäume und sind in pinkes Licht getaucht. Wie durch eine sprichwörtliche rosa Brille nimmt man die künstlichen Gebilde, die für Sehnsuchtsorte des Südens stehen, wahr. Auch in der »City C« haben über Jahre die Palmen in Pflanzkübeln die Atmosphäre der Passage geprägt.

Der menschlichen Sehnsucht nach Arkadien geht auch Aljoscha nach. Seine schwebende Installation »Paradise to be created« aus rosafarbenen Acrylglas­elementen visualisiert und manifestiert die heutigen philosophischen Bewegungen des Bioethischen Abolitionismus und Paradise Engineering. Aljoscha beschäftigt sich intensiv mit den neuesten wissenschaftlichen Forschungen und der Frage: »Wie transformieren wir das utopische Arkadien in ein reales Elysium?«

Mit dem Bild unserer modernen Städte hingegen setzen sich die Fotoarbeiten von Gudrun Kemsa und Boris Becker auseinander. 

Thema der Fotografin und Videokünstlerin Gudrun Kemsa sind Bilder von Menschen, die sich in Städten bewegen. Eine Auswahl ihrer Arbeiten der »New York. New York« Reihe wird in den Fenstern eines ehemaligen Friseursalons und auf der Theke der Eisdiele das pulsierende Großstadtleben wieder zurückbringen in die »City C«. Der größtmögliche Kontrast zu den »Lost Places« unserer Innenstädte macht aber auch die Vergänglichkeit dieser urbanen Bühnen deutlich. 

Der Strukturwandel ist auch an den Fotoarbeiten von Boris Becker aus Industriegebieten Europas ablesbar. Für die »City C« hat Becker diesen fast melancholischen Ansichten durchlichtete Bilder aus Seoul und Südkorea aus dem Jahr 2019 in ehemaligen Leuchtkästen gegenübergestellt. Die Dynamik der Handelsmetropole ist bei aller architektonischen Tristesse greifbar.

Nicht sichtbar, aber präsent ist der Ausstellungsbeitrag von Julia Bünnagel. Mit ihrem Licht- und Soundprojekt »Club« in einem nicht zugänglichen Raum in der zweiten Etage des ehemaligen Woolworth Kaufhauses simuliert die Künstlerin einen Ort, der wie kaum ein anderer für Freiheit, Ausgelassenheit und die Sehnsucht nach scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten steht. Hier in der »City C« verschwimmt die Grenze zwischen Illusion und Realität. Die Passanten können nicht sicher sein, was in diesen verschlossenen Räumen vor sich geht. 

Den fulminanten Abschluss oder auch Auftakt, wenn man vom östlichen Eingang die »City C« betritt, bildet das große Schriftbild von Lars Breuer. Er nimmt direkt Bezug auf die Architektur und definiert durch die Bemalung der gesamten Fensterfront den Raum gleichsam neu. Erst nach einer kurzen Orientierung wird der Wortsinn klar: »Schock«. Das mag sich direkt auf die Konfrontation mit der Arbeit beziehen, aber vielleicht auch auf die aktuelle Realität des einst pulsierenden Ortes »City C«.

Dafür, dass die »City C« sich weiter entwickeln wird, sind jüngst gute Voraussetzungen geschaffen worden. Für die Ausstellung hat sich der urbane Raum als Kunstpassage auf Zeit als Glücksfall und Chance für die kreative Zwischennutzung erwiesen. Auch Leverkusens Baudezernentin Andrea Deppe von Beginn an von der Ausstellungsidee überzeugt: »Wir glauben fest an die Zukunft dieses Ortes und sind begeistert davon, den Ort für dieses außergewöhnliche Projekt zur Verfügung stellen zu können. Es ist für uns alle eine Chance, die Passage neu kennenzulernen, während wir auf städtischer Seite weiter an der urbanen Zukunft der Stadt arbeiten.«

Möglicherweise klingen also die Impulse einer künstlerischen von Sachzwängen freien Perspektive noch fort. 

Das Projekt wurde kuratiert vom Kunstverein Leverkusen und Bayer Kultur mit freundlicher Unterstützung der Stadt Leverkusen, der WGL und der Sparkasse Leverkusen.

»Lost Places« ist vom 27. August bis zum 31. Oktober 2021 in der »City C« in Leverkusen zu sehen. Der Eintritt ist frei, Informationen auch unter www.lostplaces.art, zur Ausstellung erscheint ein Katalog.

Teilnehmer

Aljoscha, Boris Becker, Lars Breuer, Julia Bünnagel, Katja Davar, Krzysztof Honowski und Laura Sundermann, Heike Kabisch, Andy Kassier, Gudrun Kemsa, Gereon Krebber, Johanna Reich, Andreas Schmitten, Charlotte Triebus, Frauke Wilken