Bielefeld (fhb). Leise surrt der fahrerlose Transportwagen Richtung Versand- bereich, weicht selbstständig Hindernissen aus und stoppt, wenn Menschen seinen Weg queren. Beladen ist das Vehikel mit drei sogenannten TwoInOne-Geräten – Kochfeld und Dunstabzug in einem, die Bestseller unter den Miele- Induktionskochfeldern aus dem Werk Bünde. Der voll automatisierte Transport steht im Gegensatz zur Produktion der Kochfelder, denn hier können Maschinen den Menschen nicht ersetzen. Zu komplex sind die vielen Handgriffe, zu viele Varianten werden gefertigt. Insbesondere für die TwoInOne-Geräte braucht es erfahrene Werkerinnen und Werker, die nicht am Fließband arbeiten, sondern »ihrem« Produkt im sogenannten Montage-U von Station zu Station folgen: Sie verbinden das Lüftungsgebläse mit dem Gehäuse, montieren Induktionsspulen und Elektronikkomponenten, verkabeln nach dem vorgegebenen Schaltplan, setzen die Glaskeramik auf, testen sämt- liche Funktionen am Prüfstand und verpacken ihr Produkt am Ende auch noch selbst – Qualität »Made in Bünde«. High-end ist nicht nur die Kombination aus Induktionskochfeld und integrier- tem Wrasenabzug. Einzigartig sind auch die hier gefertigten Modelle, die mit Bratsensoren ausgestattet sind, ein Anbrennen verhindern und Koch oder Köchin per App bei der Zubereitung unterstützen. Hochschule berät Miele-Entwicklungsteam »Miele ist in diesem Feld technologisch führend und gehört heute zu den welt- weit erfolgreichsten Herstellern von Kochfeldern«, sagt Dr. Volker Ennen, Head of Advanced Development Hobs and Steamers in der Business Unit Cooking bei Miele. »Die führende Position hat ihren Grund unter anderem darin, dass in diesem Familienunternehmen Raum dafür da ist, langfristig zu denken und sich Zeit für die Entwicklung von Innovationen zu nehmen«, so der promovierte Physiker weiter. Ennen und sein Team arbeiten direkt im Werk Bünde. Von hier aus starten sie Entwicklungsprojekte für die nächste und übernächste Gerätegeneration. Bei der Frage, welche neuen Technologien für künftige Produkte geeignet sind, lässt sich das Team seit zehn Jahren von Experten und Expertinnen der Fachhochschule (FH) Bielefeld beraten. Hauptfokus Induktion im Mieletec Damals, im April 2011 wurde das Mieletec ins Leben gerufen, eine Kooperation zwischen dem Unternehmen und der FH. Die Partner hatten sich zum Ziel gesetzt, an Innovationen für Hausgeräte zu arbeiten und Grundlagenforschung insbesondere zum Phänomen des induktiven Garens zu betreiben. »Induktion ist eine besondere Art der Wärmeerzeugung«, erläutert Prof. Dr. Sonja Schöning, die das Mieletec gemeinsam leitet mit Prof. Dr. Christian Schröder, Vizepräsi- dent für Forschung und Transfer an der FH. »Bezogen auf das Kochen erzeugt man mithilfe einer Spule unterhalb der Ceranscheibe ein magnetisches Wech- selfeld. Im Topfboden entstehen daraufhin Wirbelströme, die Wärme erzeugen, was wiederum für ein wesentlich effizienteres Garen genutzt werden kann.« Induktives Kochen ist schneller, effizienter und sicherer Beim induktiven Kochen erhitzt sich der Topfboden unmittelbar und die Wärme kommt so direkt an das Gargut heran, erläutert Prof. Schöning die Vorteile: »Man ist schneller, weil nicht erst noch das Ceranfeld aufgeheizt werden muss. Es entstehen weniger Energieverluste. Und das Kochen ist sicherer, denn die Ceranscheibe selbst wird nicht besonders heiß.« Im Fokus der Arbeiten über die Induktion standen in den vergangenen zehn Jahren neben Forschungen zur Wärmeübertragung auch Fragen zu Strömungsme- chanik, Sensorik und Materialforschung. »Wir wollten das Kochen mit Induktion in seiner gesamten Wirkungskette von der Steckdose bis ins Gargut verstehen, und das ist uns gelungen«, zieht Schöning Bilanz. »Das Mieletec hat damit seinen Beitrag dazu geleistet, dass die Induktionskochfelder von Miele heute zum Besten gehören, was man auf dem Markt erhalten kann.« Experiment und Simulation arbeiten Hand in Hand Doch wie genau kommt das Mieletec zu seinen Erkenntnissen? Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschreiten stets zwei Wege: Experiment und Simulation, wobei beides eng miteinander verknüpft ist. Die Daten aus den Experimenten liefern die Basis, auf der dann Multi-Physik-Simulationen aufgesetzt werden. Die Simulationen ihrerseits bieten dann die Chance, in kurzer Zeit verschiedene Parameter effizient zu variieren, zum Beispiel die Geometrie einer Spule oder die Größe eines Sensors. »Wenn wir jede Variante bauen würden, über die wir mehr erfahren möchten, müssten wir sehr viel Geld und Arbeitszeit investieren«, erläutert Miele-Entwickler Dr. Ennen. »Stattdessen machen die Kolleginnen und Kollegen im Miele- tec lediglich ein Experiment, programmieren eine Simulation, und testen dann mit ein bisschen Computerrechenzeit alle verschiedenen Größen durch.« Jene Größe, die in der Simulation am besten abgeschnitten hat, wird daraufhin wieder im Experiment getestet – der Kreis schließt sich. High-tech für ein »agiles Team« Damit all das professionell von statten gehen kann, gibt es im Mieletec an der FH für die Experimente ein Messlabor, diverse Messgeräte, von denen das Team viele erst auf die verschiedenen Aufgaben hin getrimmt hat, sowie – je nach Aufgabe – das eine oder andere mit Testsensoren gespickte Miele-Gerät. Außer- dem stehen Hard- und Software für die Multi-Physik-Simulationen bereit, hinreichend Rechenpower ist ebenfalls vorhanden: 1.500 CPU-Kerne, 2.5 Terabyte Arbeitsspeicher, 20 TeraFLOPS Leistung und ein Infiniband-Netzwerk – man muss nicht alles verstehen. »Im Grunde genommen ist das, was wir in den letzten Jahren bei etlichen Projek- ten gemacht haben, ziemlich genau das, was man heute unter einem sogenannten agilen Entwicklungsprojekt versteht, das sich in verschiedene zweiwöchige Sprints aufteilt und so besonders schnell Ergebnisse erzielt«, resümiert Dr. Ennen. Beide Seiten profitieren erheblich Für Miele besteht der Vorteil der Zusammenarbeit ganz konkret in den gelieferten Ergebnissen. Darüber hinaus profitiert das Unternehmen davon, frühzeitig in Kontakt mit talentierten Studierenden zu kommen: Mehr als 60 Projekt- und Abschlussarbeiten sind im Rahmen der Zusammenarbeit entstanden, eine von Miele finanzierte Promotion steht unmittelbar vor der Veröffentlichung. Für die FH ergeben sich ebenfalls mehrere Vorteile: »Für die Studierenden ist es eine wertvolle Erfahrung, im Mieletec sehr praxisbezogen arbeiten zu können und schon im Studium zu lernen, wie in einem Unternehmen professionell entwickelt wird«, erläutert Prof. Schöning. „Manchmal profitiert die FH auch davon, dass ein Testaufbau nach dem Abschluss eines Projekts sozusagen ein zweites Leben in der Lehre bekommt, weil wir hier Praktika mit hohem Anwendungsbe- zug durchführen können.« Erstes öffentlich gefördertes Forschungsprojekt Auch die Forschung hat etwas von der kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen FH und Miele im Rahmen des Mieletec: »Es war ein Meilenstein, als wir 2015 unter Beteiligung von Miele erstmals ein öffentliches Forschungsprojekt zur Nanoinduktion einwerben konnten«, erzählt Schöning. In dem Projekt ging es darum, die Induktionsspule noch einmal »ganz neu zu denken«, so die Wissenschaftlerin. »Warum soll induktives Laden von Elektroautos nicht bald auf breiter Front möglich sein? Man fährt einfach über eine im Parkraum versenkte Spule und muss nicht mehr mit lästigen Steckern hantieren.« Miele investiert 28 Millionen Euro in das Werk Bünde In Bünde allerdings konzentriert man sich erst einmal weiter auf die Entwick- lung und Herstellung von qualitativ hochwertigen Hausgeräten. „Mich fasziniert, dass Miele sich trotz großer asiatischer Mitbewerber am Markt extrem gut behauptet“, sagt Sonja Schöning. Von nichts kommt nichts: Zurzeit investiert Miele am Standort Bünde 28 Millionen Euro in ein Forschungs- und Entwick- lungszentrum sowie in eine neue Pressenanlage. 450.000 Produkte in 3.600 Varianten verlassen das Werk jährlich. Der Standort hat Tradition: Hier pro- duzierte Anfang der 70er-Jahre der 1989 von Miele übernommene Küchengerätehersteller Imperial das erste Glaskeramikkochfeld. Heute stellen die 700 Beschäftigten in Bünde neben Kochfeldern auch Wärmeschubladen und Dampfgarer her. Optimierter Feuchtesensor aus dem Mieletec Bei den Dampfgarern zeigt sich ebenfalls die vorteilhafte Zusammenarbeit von Miele und FH. Ein Beispiel ist der Feuchtesensor der Combi-Dampfgarer, bei denen Feuchtigkeit und Hitze unabhängig voneinander geregelt werden können. „In der Entwicklungsphase wurde am Mieletec das Prinzip des Feuchtesensors experimentell analysiert und parallel mithilfe einer Simulationssoftware untersucht“, berichtet Dr. Ennen. „Durch die Simulation hat das Mieletec Op- timierungspotenziale in der Geometrie des Sensors und bei der Art des Sen- sorbetriebs aufgezeigt.“ Die Folge: Mittlerweile wird in jedem von Miele ausgelieferten Combi-Dampfgarer der optimierte Feuchtesensor verbaut, der durch seine Arbeitsweise viele Automatikprogramme perfekt unterstützt. Kooperation mit spannenden Perspektiven Längst hat sich bei Miele herumgesprochen, dass das Mieletec ein kompetenter und agiler Partner ist und keineswegs nur Expertise auf dem Gebiet von In- duktion und Dampfgaren besitzt. 30 Projekte haben Miele und das Mieletec in den vergangene zehn Jahren umgesetzt. Einige erfolgreiche Arbeiten für andere Miele-Werke als dem in Bünde sind ebenfalls darunter. „Der Charakter der langfristigen Kooperation ist für uns von der FH das Alleinstellungsmerkmal des Mieletec“, bilanziert Prof. Dr. Christian Schröder, der FH- seitig das Leitungsduo mit Prof. Dr. Schöning bildet. „So ergeben sich immer wieder ganz neue Aktivitätsfelder.“ Dr. Markus Miele, geschäftsführender Gesellschafter von Miele, sieht das ähnlich: „Wir sind uns bewusst, dass über das Mieletec weitere Kompetenzfelder der FH zur Verfügung stehen. Sie bieten Potenzial für zukünftige Kooperationen, beispielsweise in den Bereichen Akustik oder Künstliche Intelligenz. Ideen für neue Forschungsprojekte mit der FH werden uns also nicht ausgehen.“