Albert Ludwigs Universität Freiburg, Künstlicher Muskel aus Proteinen

Freiburger Forschungsteam entwickelt erstmals Material aus natürlichen Proteinen, das selbstständig kontrahiert. Basis ist das Faserprotein Elastin, das beispielsweise der Haut und den Blutgefäßen Elastizität verleiht. »Die hohe Biokompabilität des Materials und die Möglichkeit, dessen Zusammensetzung auf bestimmte Gewebe abzustimmen, könnte künftig neue Anwendungen in der rekonstruktiven Medizin, der Prothetik, Pharmazie oder in der Soft-Robotik ermöglichen.«

Dr. Stefan Schiller und Dr. Matthias Huber vom Exzellenzcluster livMatS der Universität Freiburg ist es erstmals gelungen, einen künstlichen Muskel allein auf der Basis von natürlichen Proteinen zu entwickeln. Die autonomen Kontraktionen des Materials, das die Forschenden in der Fachzeitschrift Advanced Intelligent Systems vorstellen, lassen sich mithilfe von Schwankungen des pH-Werts und von Temperaturveränderungen steuern. Die Bewegungen werden durch eine chemische Reaktion angetrieben, die dazu molekulare Energielieferanten verbraucht. »Noch handelt es sich bei unserem künstlichen Muskel um einen Prototyp«; sagt Stefan Schiller. »Die hohe Biokompatibilität des Materials und die Möglichkeit, dessen Zusammensetzung auf bestimmte Gewebe abzustimmen, könnte allerdings künftig neue Anwendungen in der rekonstruktiven Medizin, der Prothetik, Pharmazie oder in der Soft-Robotik ermöglichen.«

Um künstliche Muskelsysteme zu entwickeln, haben Wissenschaftler*innen in der Vergangenheit bereits natürliche Proteine als Basis genommen und diese in winzig kleine molekulare Maschinen oder in Polymere eingebaut. Jedoch ist es bisher nicht gelungen, synthetische Muskelmaterialien zu entwickeln, die vollständig biobasiert sind und sich autonom und mithilfe chemischer Energie bewegen.

Material basiert auf natürlichem Protein Elastin

Das vom Freiburger Team verwendete Material basiert auf dem natürlichen, auch im Menschen vorkommenden Faserprotein Elastin, das beispielsweise der Haut und den Blutgefäßen Elastizität verleiht. In Anlehnung an dieses Protein haben die Forscher zwei dem Elastin ähnliche Proteine entwickelt, wovon eines beispielsweise auf Schwankungen des pH-Werts, das andere auf Temperaturveränderungen reagiert. Die Wissenschaftler kombinierten beide Proteine mittels photochemischer Vernetzung zu einem zweischichtigen Material. In diesem Vernetzungsprozess ist es möglich, das Material flexibel zu formen und seine Bewegungsrichtung vorzugeben.

Kontraktionen lassen sich mithilfe von Temperaturveränderungen an- und ausschalten

Die Forscher konnten die rhythmischen Kontraktionen auslösen, indem sie einen chemischen Energielieferanten, in diesem Fall Natriumsulfit, als Treibstoff einsetzten. In einer oszillierenden chemischen Reaktion, bei der sich der pH-Wert durch eine spezielle Verknüpfung mehrerer Reaktionen zyklisch ändert, wurde die zugegebene Energie über Nichtgleichgewichtszustände des Materials in mechanische Energie umgewandelt. Dadurch brachten die Forscher das Material dazu, autonom zyklisch zu kontrahieren. Die Kontraktionen konnten sie zusätzlich mithilfe von Temperaturveränderungen an- und ausschalten: Bei einer Temperatur von etwa 20 Grad Celsius startete die oszillierende chemische Reaktion, und das Material begann, sich rhythmisch zu bewegen. Dabei war es möglich, bestimmte Zustände, die das Material einnehmen soll, zu programmieren und durch einen weiteren Stimulus wieder zu löschen. Die Wissenschaftler erreichten so ein einfaches System, um ein Lernen und Vergessen auf der Materialebene umzusetzen.

»Da es von dem natürlich vorkommenden Elastin abgeleitet ist und biotechnologisch von uns hergestellt wird, zeichnet sich unser Material durch eine hohe Nachhaltigkeit aus, die auch für technische Anwendungen relevant ist«, erklärt Schiller. »Künftig könnte das Material so weiterentwickelt werden, dass es auch auf andere Stimuli, wie etwa die Salzkonzentration in der Umgebung, reagiert und andere Energielieferanten verbraucht wie etwa Malat, das aus Biomasse gewonnen wird.«

Ãœber den Exzellenzcluster livMatS

Der Exzellenzcluster »Living, Adaptive and Energy-autonomous Materials Systems« (livMatS) der Universität Freiburg entwickelt lebensähnliche Materialsysteme, die von der Natur inspiriert sind. Die Systeme werden sich autonom an Umweltbedingungen anpassen, saubere Energie aus ihrer Umgebung gewinnen und unempfindlich gegen Beschädigungen sein oder diese selbstständig ausgleichen.

Originalpublikation: Matthias C. Huber, Uwe Jonas, and Stefan M. Schiller, »An Autonomous Chemically Fueled Artificial Protein Muscle. Adv. Intell. Syst.« 2022, 2100189, 2022-01-13, DOI: 10.1002/aisy.202100189, https://doi.org/10.1002/aisy.202100189