Die Lokführergewerkschaft GDL hat als Reaktion auf die gescheiterten Tarifverhandlungen bei der Deutschen Bahn zu einer Urabstimmung aufgerufen. Im August droht ein unbefristeter Arbeitskampf. Dabei stiegen Grundvergütungen des Zugpersonals seit 2007 um 46 Prozent – mehr als im öffentlichen Dienst, wie IW-Berechnungen zeigen. Die Deutsche Bahn ist durch die Pandemie wirtschaftlich schwer angeschlagen. Das Unternehmen hielt aus gesamtwirtschaftlicher Verantwortung ein größeres Angebot vor, als es sich wirtschaftlich gerechnet hätte. Das war nicht nur für die Fahrgäste gut, sondern auch für die Mitarbeiter. Es mussten weniger Personen Lohneinbußen durch Kurzarbeit hinnehmen. Zudem wurde bisher nicht nachgewiesen, dass das Zugpersonal einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt war als andere Berufsgruppen – besondere Ansprüche für Lokführer lassen sich daraus kaum ableiten. Vorbild Öffentlicher Dienst Vor diesem Hintergrund könnte der von der GDL als Vorbild genannte Tarifabschluss des Öffentlichen Dienstes einen Ausweg weisen. Im langfristigen Vergleich entwickelten sich die tariflichen Grundvergütungen einschließlich Pauschalzahlungen wie einer Corona-Prämie von GDL-Zugpersonal, sonstigem Bahnpersonal (EVG) und öffentlichem Dienst unter der Federführung von »ver.di« recht parallel. 2007 trat die GDL erstmals mit der Forderung nach einem eigenständigen Tarifvertrag an, den sie 2008 durchsetzen konnte. Seitdem stiegen die Grundvergütungen des Zugpersonals um 46 Prozent, während sie im Organisationsbereich der EVG um 40 und im Öffentlichen Dienst um 41 Prozent zulegten. Das GDL-Plus ergibt sich allein aus der ersten erfolgreichen Tarifrunde, die der GDL 2008 Lohnerhöhungen von elf Prozent bescherte. Danach konnte die Berufsgruppengewerkschaft im Vergleich zu den Branchengewerkschaften keine besondere Dividende für ihre Mitglieder herausholen. Insofern sollte eine inhaltliche Regelung in Zeiten der Pandemie möglich sein, auch ohne einen zermürbenden Arbeitskampf, der allen schadet. Beim letzten großen Bahntarifkonflikt 2014/15 gab es neun Streikrunden der Lokführergewerkschaft, die zu Umsatzausfällen von mehreren hundert Millionen Euro führten. Der Konflikt von damals erinnert an die jetzige Situation: Die Tarifvertragsparteien scheiterten nicht an überhöhten Forderungen, sondern daran, dass jede Seite die Verhandlung im Nachgang unterschiedlich interpretierte. Da schon das ganze Prozedere strittig war, konnte sich ein Einigungswillen erst gar nicht entwickeln. Der gordische Knoten wurde erst durchschlagen, nachdem in vertraulicher Runde mit einem unparteiischen Dritten der Verhandlungsprozess strukturiert wurde. Der Mediator schuf ein Klima der Verhandlungsbereitschaft, auf dem in einem zweiten Schritt eine Schlichtung folgen konnte, die konkrete Inhalte auf die Tagesordnung setzte. GDL spielt mit dem Feuer Um einen solchen Weg werden die Streitparteien auch heute nicht umhinkommen. Natürlich gehören zum Verhandlungsritual nicht nur lange Nächte mit einer Einigung am frühen Morgen, sondern hin und wieder auch Streikdrohungen, gescheiterte Verhandlungen und sogar unbefristete Arbeitskämpfe. Auch die GDL hat das Recht, den Verhandlungsdruck durch eine Eskalation zu erhöhen. Allerdings sollte sich die Gewerkschaft darüber im Klaren sein, dass der Erfolg eines Arbeitskampfs auch von seiner öffentlichen Zustimmung abhängt. Fehlt diese, wird es schwer, die anfängliche Streikbegeisterung unter den Mitgliedern über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Die GDL wäre daher gut beraten, es bei ihrer Drohung zu belassen und sich Gedanken über eine Deeskalationsstrategie zu machen. Zudem gehören zur Einigung immer zwei Parteien. Die Deutsche Bahn muss daher über ihren Vorschlag der Schlichtung hinaus überlegen, welches Signal sie an die Gewerkschaft senden kann, um sie von einer Mediation zu überzeugen. Möglicherweise muss das Unternehmen parallel dazu auch noch einmal mit der konkurrierenden EVG, die bereits 2020 einem Krisentarifabschluss zustimmte, in Gespräche treten. Das ist überaus unbequem.