»Ein einzelner Toter ist eine Tragödie. Eine Million Tote sind nur eine Statistik«, soll Stalin gesagt haben. Er soll auch gesagt haben: »Ein Mensch, ein Problem. Kein Mensch, kein Problem«. Ist das zynisch? Oder ist das realistisch? Es ist beides. Die Realität ist eben auch zynisch. Und genau das erleben wir nun wieder. Natürlich sind eine Million Tote auch eine Million Tragödien. Aber einzelne Tragödien sind auch für alle Tragödien. Ab einer bestimmten Menge übersteigt das jedoch in mehrfacher Hinsicht die Leistungsfähigkeit des Geistes und lässt sich nur noch als Statistik darstellen. Und weil das nun eben auch zynisch ist, arbeitet man dagegen. Deshalb brachte Steinmeier die Idee, Kerzen ins Fenster zu stellen, oder einen Feiertag zu veranstalten. Deshalb gibt es Gedenkstätten, Namenstafeln, Gräberfelder. Aber wenn man darüber nachdenkt: vor allem und umso mehr dann, wenn Menschen die Ursache für die Toten waren. Nicht bei Naturkatastrophen. Warum ist das so? Und was heißt das in der Coronapandemie? Wir haben es mit einer Naturkatastrophe zu tun, die wir selbst am Laufen halten. Ob wir wollen oder nicht. Wir haben es mit Statistiken zu tun. Täglich. Wird es Gedenkstätten, Namenstafeln, Gräberfelder geben? Nein. Sollte es einen Feiertag oder einen Gedenktag geben? Das ist keine schlechte Idee. Es sollte irgendwann einen weltweiten Feiertag geben, an dem gefeiert wird, dass die Pandemie zu Ende ist. An diesem Tag kann dann auch der Toten gedacht werden. Natürlich wird es kein konkretes Datum geben, das müsste man dann festlegen. Das wäre vielleicht angemessen. Andererseits gibt es den »Tag der deutschen Einheit«. Das ist ein Nationalfeiertag. Es gibt aber keine internationalen Feiertage, an denen das Ende des Dritten Reichs und des Holocaust gefeiert würde. Oder das Ende des Ersten oder Zweiten Weltkriegs. Oder an dem des Sündenfalls von Hiroshima gedacht wird. Oder an dem Ende der Spanischen Grippe gefeiert wird. Wirklich wichtig scheinen nur der Weihnachtsmann und Silvester sein. Vielleicht noch der Osterhase. Vielleicht muss ein internationaler Feiertag kommen, weil wir es mit einer in der Menschheitsgeschichte nie dagewesenen Naturkatastrophe zu tun haben. Die wahren Zyniker machen das an den Zahlen fest. An der Quantität. Und behaupten, das sei nicht so. Aber man muss es an der Qualität festmachen. Ein Gedanke, der den meisten leider fremd ist. Das Coronavirus ist offenbar noch nicht unbeliebt genug, weil es womöglich zu harmlos ist. Und vice versa. Was wäre, wenn 90 Prozent der Infizierten stürben? Was wäre dann? Meinte Steinmeier nun einen Nationalfeiertag? Oder einen internationalen Feiertag? Stünde ihm Letzteres überhaupt zu? Und wäre Ersters nicht unangemessen? Oder müsste das von den Vereinten Nationen kommen? Von denen ja überraschenderweise ausgerechnet jetzt gar nichts kommt? Weil wir es eben mit keiner menschgemachten Katastrophe zu tun haben? Weil man Corona weder abknallen noch verbieten kann? Oder sollte es überall örtliche, kommunale Feiertage geben? Brauchen wir hier eine neue Kategorie?