9 Monate Angriffskrieg in der Ukraine: Wie entwickelt sich die private Unterbringung in Deutschland?

  • Der Bedarf an privaten Unterkünften für aus der #Ukraine geflüchtete Menschen ist nach wie vor hoch

  • Die Initiative #UnterkunftUkraine vermittelt verstärkt in Regionen abseits der Großstädte, um den Bedarf auch für größere Familien zu decken

  • Eigene Mietwohnung oder neue Ãœbergangsunterkunft? Was nach der temporären Erstunterbringung geschieht, hängt vom Standort der #Gastgeber ab

Berlin, 24. November 2022

Heute sind bereits 9 Monate seit Beginn des Angriffskrieges auf die Ukraine vergangen. Eine lange Zeit, in der viel #Leid ertragen werden musste. Anastasia, Vita und Lena haben nach ihrer Flucht nach Deutschland Unterkunft bei Familie Bonse gefunden. Georgina Bonse, ihr Mann und ihre dreijährige Tochter wohnen auf einem landwirtschaftlichen Betrieb in Schleswig Holstein, fernab größerer Städte. Die vergangenen Monate waren nicht leicht für die 3 Frauen, aber sie waren froh, bei Familie Bonse eine erste Unterkunft gefunden zu haben. Doch nachdem auch nach einiger Zeit kein Ende des Krieges in Sicht war, begaben sie sich auf die Suche nach einer langfristigen Unterbringung. Durch einen glücklichen Zufall fanden sie schließlich eine dauerhafte Unterkunft in Regensburg.

Wie einfach oder schwierig es sich für die Geflüchteten gestaltet, eine Folgeunterbringung zu finden, hängt auch vom Standort ab. Die Initiative #UnterkunftUkraine, die Geflüchtete und Gastgebende in Deutschland zusammenbringt, hat dazu aktuelle Erkenntnisse und Daten ermittelt.

Auch nach 9 Monaten Krieg suchen viele Menschen aus der Ukraine eine private Unterkunft in #Deutschland

Seit Kriegsausbruch sind dem Ausländerzentralregister nach rund eine Million Menschen (Stand Ende Oktober 2022) aus der Ukraine nach Deutschland geflohen, in der Hoffnung, hier Sicherheit zu finden. Da die Kämpfe in vielen Teilen der Ukraine weitergehen, ist auch der Bedarf an Unterkünften für Geflüchtete weiterhin hoch in Deutschland. Zudem steht der kalte Winter bevor, der die Problematik zusätzlich verschärft. Die Initiative #UnterkunftUkraine hat es sich seit Beginn des Krieges zur Aufgabe gemacht, kostenlose temporäre Privatunterkünfte hierzulande an Geflüchtete zu vermitteln. Insgesamt konnte #UnterkunftUkraine mehr als 54.000 Menschen Schlafplätze anbieten.

Dass private Unterbringung für zahlreiche Geflüchtete die bevorzugte Alternative bleibt, spiegelt sich in der anhaltend hohen Nachfrage auf #UnterkunftUkraine aber auch auf anderen Plattformen wider. Obwohl rund 85 Prozent der Angebote in den ersten Wochen der Krise registriert wurden, kommen auch heute noch jede Woche neue dazu. Um jedoch den Bedarf an Betten für Geflüchtete decken zu können, ist #UnterkunftUkraine darauf angewiesen, dass Privatpersonen weiterhin bereit sind, ihr Zuhause mit Geflüchteten zu teilen.

Warum eine Verteilung abseits von Großstädten hilfreich ist

Eine Strategie, um möglichst vielen Menschen eine temporäre Unterbringung zu ermöglichen, ist eine gezielte regionale Verteilung. #UnterkunftUkraine vermittelt daher in letzter Zeit verstärkt in Regionen jenseits der Großstädte. Anfänglich war es der Wunsch vieler Geflüchteter, in größeren Städten unterzukommen. Dieses ursprüngliche Bestreben hat plausible Gründe. Denn in der Ukraine herrscht ein starkes Gefälle zwischen Land und Stadt, sodass die Geflüchteten auch hier erst einmal von einer beispielsweise gering ausgeprägten Infrastruktur auf dem Land ausgingen. Außerdem gibt es in vielen deutschen Großstädten bereits etablierte ukrainische Communitys, was für viele ein hilfreicher Anknüpfungspunkt ist.

Regionen abseits der Großstädte bieten dabei eine Reihe von Vorteilen. Zum einen kann dort der Bedarf an privater Unterbringung mehrköpfiger Familien eher gedeckt werden als etwa in Ballungsräumen, wo ohnehin schon Wohnungsknappheit für Familien herrscht. Dies spiegelt sich auch in den Zahlen der angebotenen Unterkünfte auf #UnterkunftUkraine wider.  Für Ankommende kann es zu weniger beengten Wohnverhältnissen führen und auch die Mitnahme von Haustieren erleichtern. Darüber hinaus herrscht hier häufig weniger Anonymität. Bei einer ausgeprägten Gemeinschaft könnte daher durch gemeinsame Aktionen der Alltag der Geflüchteten zusätzlich bereichert werden.

Für die Gemeinden selbst kann der Empfang von Geflüchteten eine Reihe von Vorteilen bieten, die über die humanitäre Hilfe hinausgehen. So wurde in der aktuellen Studie „Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands“ (Mehl et al.) herausgefunden, dass die befragten Bewohner*innen Entwicklungschancen im Kontext von Abwanderung und Alterung sehen und die Aufnahme von Geflüchteten zur Verringerung des Fachkräftemangels beitragen kann. Gleichzeitig bringt die Unterbringung in Regionen abseits von Großstädten auch Herausforderungen mit sich. Dazu gehören je nach Ort beispielsweise längere Fahrtstrecken zur Schule, zu Sprachkursen oder zu Ärzten. Zudem ist es möglich, dass der Alltag mit den häufig älteren Einwohnern auf dem Land für jüngere Geflüchtete aufgrund weniger gemeinsamer Interessen schwieriger ist.

Eine langfristige Unterbringung zu finden ist eine große Herausforderung

Insbesondere zu Beginn sind die kostenlosen Hilfsangebote der Gastgebenden essenziell und wertvoll für Ankommende. Zumal niemand am Anfang vorhersehen kann, wie lange die Erstunterbringung notwendig sein wird. Für ein dauerhaftes Einleben ist es jedoch zumeist förderlich, wenn die Geflüchteten nach der Ankunft in einer ersten kurzfristigen Unterkunft eine Langzeitunterbringung finden. Dies gestaltet sich allerdings je nach Region unterschiedlich schwierig.

Das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) hat in Zusammenarbeit mit #UnterkunftUkraine eine Untersuchung über die Situation von aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Deutschland durchgeführt. In Bezug auf die Schwierigkeit, eine Folgeunterbringung zu finden, wurde festgestellt, dass im Durchschnitt 55 Prozent der privaten Unterbringungen endeten, weil eine Langzeitunterkunft wie beispielsweise eine eigene Wohnung gefunden wurde. Der regionale Unterschied ist beträchtlich: Während nur 17 Prozent der Flüchtlinge in Thüringen und 40 Prozent im Saarland nach der ersten privaten Unterkunft bei Gastgebenden eine Langzeitbleibe gefunden haben, sind es in Sachsen 85 Prozent und in Rheinland Pfalz 88 Prozent. Zu den Gründen für diese geografischen Unterschiede könnten die unterschiedlichen Gegebenheiten auf dem jeweiligen Wohnungsmarkt gehören, also die Frage, wie viele Wohnungen grundsätzlich in der jeweiligen Region verfügbar sind. Darüber hinaus könnte die Vermittlung über private soziale Netzwerke in der Nachbarschaft oder die öffentliche Organisation der Wohnungsverteilung je nach Ort unterschiedlich gut ablaufen.

Die Studie von Mehl et altera bestätigt, dass die Suche nach einer privaten Folgeunterbringung grundsätzlich einfacher in Regionen abseits von Ballungszentren ist, da dort relativ günstige Ausgangsbedingungen in Bezug auf die Verfügbarkeit von Mietwohnungen herrschen. Jedoch werden auch hier Herausforderungen genannt. Diese ergeben sich vor allem aus einem Missverhältnis zwischen dem Wohnungsangebot einerseits und dem Bedarf an bestimmten Wohnungsgrößen andererseits. Zudem stellt die Lage des verfügbaren Wohnraums eine potenzielle Problematik dar, da dieser oftmals in Gemeinden liegt, die nicht gut mit dem #ÖPNV angebunden sind (Mehl et altera 2023).

Viele Flüchtlinge und ihre Gastgeber stehen also vor einer großen Herausforderung, wenn es an die Organisation einer langfristigen Folgeunterbringung geht. Dies kann auch der Gastgeber Jörg Hainski bestätigen, der gemeinsam mit seiner Frau 2 Ukrainerer aufnahm.

»Die Wohnungssuche verlief dramatisch und ich war schon kurz davor aufzugeben, weil mir die Stadt außer warmer Worte keine Unterstützung dazu gegeben hat. Ich habe meinen Vermieter informiert, dass ich im Rahmen des Besuchsrechts ukrainische Geflüchtete für 6 bis 8 Wochen als Besuch aufnehmen werde. 4 Monate später hatte die eine Ukrainerin aber noch keine Folgeunterbringung gefunden. Es kann doch nicht sein, dass mein Vermieter sie irgendwann auf die Straße setzt und ich nichts dagegen machen kann? Die Stadt teilte mir daraufhin mit, dass ich sie erst dann informieren soll, wenn die Geflüchteten bereits aus der Wohnung raus mussten.«

Jörg Hainski, Gastgeber

Die weiteren Ergebnisse der DEZIM Umfrage geben Hinweise darauf, wie die Erfahrung der Privatunterbringung verbessert werden kann. So gaben viele Gastgebende an, mit frustrierenden bürokratischen Hürden konfrontiert zu sein. Viele Unterbringende wünschen sich demnach praktische Unterstützung wie Checklisten für eine erfolgreiche Aufnahme und finanzielle Hilfe sowie einen Austausch mit anderen Gastgebenden. Insbesondere die Organisation der Folgeunterbringung ist für viele eine große Herausforderung, da sie sich für das Schicksal der bei ihnen Untergekommenen verantwortlich fühlen. Daher wünschen sie sich staatliche Unterstützung bei der künftigen Wohnungssuche.

Fazit

Zusammengefasst bleibt es eine große Herausforderung, möglichst vielen vom Krieg vertriebenen Menschen eine Unterkunft in Deutschland zu ermöglichen. Georgia Homann, Projektleiterin von #UnterkunftUkraine wünscht sich für die Arbeit ihrer Initiative eine stärkere Bündelung von offiziellen Informationen staatlicher Stellen:

»Es braucht einen zentralen Ort, an dem Informationen für Geflüchtete, Gastgebende sowie staatliche und zivilgesellschaftliche Organisationen abrufbar sind: Wo gibt es verfügbaren Mietraum, Schul- und Kitaplätze? Wo haben Kommunen möglicherweise schon Aufnahmestopps verhängt? Das wäre unglaublich hilfreich – nicht nur für unsere Arbeit, sondern vor allem für Geflüchtete, die Orientierung suchen und letzten Endes auch für eine funktionierende Verteilung in Deutschland«, Georgia Homann Projektleiterin #UnterkunftUkraine.

Ãœber #UnterkunftUkraine

#UnterkunftUkraine ist eine Initiative, um Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, kostenlose kurz- und mittelfristige Unterkünfte bei privaten Gastgebenden schnell und einfach zu vermitteln. Die Idee entstand nach Ausbruch des Ukraine Krieges am 24. Februar 2022. Der Gedanke war: »Wenn wir schon die Gewalt nicht verhindern können, dann lasst uns wenigstens unser #Zuhause mit Geflüchteten teilen, und anderen Menschen, die dies auch tun wollen, dies einfach und schnell mithilfe einer zentralen Plattform zu ermöglichen.« Aus einer Idee wurde eine Bewegung und letztlich eine Initiative mit mehr als 160.000 registrierten Gastgeber aus ganz Deutschland, die insgesamt über 360.000 Schlafplätze in ihrem Zuhause zur Verfügung gestellt haben. Langfristig verfolgt die Initiative das Ziel, zivilgesellschaftliche Solidarität zu einem festen Teil der Lösung krisenbedingter menschlicher Notlagen zu machen. Dabei fokussiert sich die Initiative darauf, zivilgesellschaftliche Hilfsbereitschaft zu aktivieren und zu bündeln. So entsteht eine Plattform für direkte Unterstützung, gelebte Solidarität und menschliche Verbindungen im Krisenfall.

Die Koordination hat die gut.org gAG übernommen. Die Vermittlung der Unterkünfte erfolgt in Kooperation mit dem Bundesministerium des #Innern und für #Heimat (BMI).