FH Bielefeld, effiziente Methode gegen lebensbedrohliche Nebenwirkung, FH Studenten entwickeln mit ihrem Startup Renephro eine individualisierte Dialyse

  • Herzrhythmusstörungen gehören zu den häufigsten und gefährlichsten Nebenwirkungen der Dialyse. Um diese Gefahr zu minimieren, verfolgt ein Start up von Studenten der FH Bielefeld eine innovative Idee: Softwaregesteuert passt sich die Dialyseflüssigkeit an die jeweiligen #Blutwerte des Patienten an. Auf diese Weise bleibt ihr Elektrolythaushalt intakt und das Herz im Rhythmus – ein Quantensprung für die Behandlung von Niereninsuffizienz mit im Markt verfügbaren Flüssigkeiten.

Bielefeld, 29. September 2022

Ein paar dünne Plastikschläuche, durch die verschiedenfarbige Flüssigkeiten laufen, angetrieben von kleinen Pumpen, gesteuert von einer Software, und am Ende verbinden sich die verschiedenen Flüssigkeiten zu einer einzigen, neuen: Die Simulation sieht zwar recht unspektakulär aus. Aber umso spektakulärer ist die Idee, die dahintersteckt: »Wir wollen eine individualisierte #Dialyse Flüssigkeit herstellen, die sich in ihrer Zusammensetzung exakt auf den jeweiligen #Patienten abstimmen lässt«, erläutert Marvin Lohse. »Durch diese Individualisierung können wir das Risiko einer schweren Nebenwirkung der Dialyse, die gar nicht mal so selten vorkommt, deutlich senken.«

Dialyse ist oft die einzige lebensrettende Behandlungsmöglichkeit

Lohse ist Student im Master Optimierung und Simulation an der Fachhochschule (FH) Bielefeld. Um die individualisierte Dialyse zu realisieren, hat er zusammen mit seinen Freunden Frederic Palesch und Franziska Löwandowski das Forschungsprojekt Renephro gestartet. Mit ihm wollen die 3 die Qualität von Dialysen auf eine neue Stufe heben und damit die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten nachhaltig verbessern. Denn: Dialyse ist zwar oft die einzige lebensrettende Behandlungsmöglichkeit, wenn die Nieren dauerhaft versagen. Aber sie ist auch mit großen Einschränkungen und manchmal auch mit Gefahren für die Betroffenen verbunden.

In der Regel müssen Patienten mit einer schweren Niereninsuffizienz dreimal wöchentlich für 4 bis 5 Stunden an eine sogenannte künstliche Niere angeschlossen werden, den Dialysator. Dieser übernimmt die Aufgabe der Nieren und filtert die überschüssigen Produkte des Stoffwechsels aus dem #Blut – das Blut wird gereinigt. Während und zwischen den Behandlungen kommt es allerdings immer wieder zu unerwünschten und teilweise gefährlichen Nebenwirkungen. Gefährlich können insbesondere #Herzrhythmus Störungen werden.

Standardisierung der Dialyseflüssigkeit Ursache für Herzrhythmusstörungen

Auf diese Gefahr war Marvin Lohse während seines Maschinenbau-Studiums aufmerksam geworden. Bei seinem damaligen Ausbildungsbetrieb erfuhr er, dass Herzrhythmusstörungen eine der Nebenwirkungen einer Standardisierung der Dialyseflüssigkeit sein können. Die Flüssigkeit enthält die wesentlichen Bestandteile Kalium und Calcium, und zwar in niedrigerer Konzentration als im Blut. So kann die künstliche Niere das überschüssige Kalium und Calcium aus dem Blut über eine feine Membran aufnehmen.

Während eine gesunde Niere ihre Filterleistung exakt auf den jeweiligen Zustand des Blutes abstimmt, arbeitet die künstliche Niere dabei gleichsam nach Schema F. »Jeder Patient ist jedoch anders und kommt auch jedes Mal mit anderen Blutwerten zur Dialyse«, stellt Marvin Lohse fest. Und genau hier liegt das Problem: »Sind die Differenzen in der Konzentration von Kalium und Calcium im Blut auf der einen Seite und in der Dialyseflüssigkeit auf der anderen Seite zu groß, kommt es zu Störungen im Elektrolythaushalt, und es besteht die Gefahr, dass Herzrhythmusstörungen auftreten.«

Softwaregesteuert angepasst auf die individuellen Bedürfnisse der Betroffenen

In Marvin Lohse und seinem Mentor Matthias Wesseler reifte eine Idee: Wenn man die Dialyseflüssigkeit in ihrer Kalium und Calcium Konzentration genau auf die jeweiligen Patienten abstimmen würde, könnte man die beschriebene Gefahr deutlich reduzieren. »Auch von der medizinischen #Forschung wird diese Individualisierung der Dialyse gefordert«, weiß Lohse. Und sie wird teilweise auch bereits umgesetzt: Derzeit sind ungefähr 50 verschiedene Dialyseflüssigkeiten in unterschiedlichen Zusammensetzungen auf dem Markt zugelassen. Sie erlauben zumindest eine Annäherung an die jeweiligen Patientenwerte. Aber, so Lohse: »In der Praxis nutzen die Dialysezentren meist nur ein paar wenige davon. Alles andere wäre logistisch und wirtschaftlich zu aufwendig.« Deshalb entwickelte Marvin Lohse einen innovativen Ansatz, für den nur noch vier standardisierte und bereits zugelassene Präparate benötigt werden: »Nimmt man die beiden Dialyseflüssigkeiten mit der jeweils minimalen und maximalen Konzentration an Calcium und Kalium, kann man fast jede beliebige Kombination mischen und so dem einzelnen Patienten gerecht werden.«

Der besondere Clou

Die Mischung lässt sich sogar während der Behandlung anpassen! Aktuell wird während einer Dialyse eine Flüssigkeit mit konstanter Konzentration verwendet, die fortwährend durch den Dialysator läuft. Lohse: »Durch die Blutwäsche jedoch verändern sich Blutwerte während der Behandlung. Mit unserer softwaregesteuerten Lösung können wir darauf reagieren und an jedem Punkt des Prozesses die optimale Mischung einfließen lassen. So minimieren wir die Risiken abermals!«

Maschinenbau und Biomechatronik arbeiten Hand in Hand

Der Student holte sich fachliche Rückendeckung von einem ehemaligen Arbeitskollegen und fand in seinem Freund Frederic Palesch einen engagierten Mitstreiter. Palesch studierte nach seinem praxisintegrierten Maschinenbau #Bachelor im Master BioMechatronik an der FH und der Uni Bielefeld und war gleich begeistert: »Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Lebensqualität der Patienten steigt durch die Reduzierung der Nebenwirkungen, das Personal wird entlastet, und die Einrichtungen profitieren von einer einfacheren Logistik – auch finanziell.«

Eine erste Beratung im Center for Entrepreneurship (CFE) der #FH #Bielefeld bestärkte die beiden in ihrem Vorhaben, sie beschlossen: Wir gründen ein eigenes Unternehmen! Das war die Geburtsstunde von Renephro. »Der Name ist ein Wortspiel aus ,ren‘, dem lateinischen Wort für Niere, und Nephrologie, der Nierenheilkunde. Und natürlich steht das »Re« auch für Erneuerung«, erklärt Franziska Löwandowski. Sie hat an der FH den praxisintegrierten Bachelorstudiengang Betriebswirtschaft absolviert und komplettiert das Team des Startups mit ihren wirtschaftswissenschaftlichen Kenntnissen, das sie neben ihrem Masterstudium in Finanzmanagement und Controlling betreut. »Ich bin zwar für die Wirtschaftlichkeit unseres Produkts verantwortlich«, so Löwandowski. »An erster Stelle steht bei uns aber der Patient, dessen Lebensqualität wir verbessern wollen.«

Gründerstipendium des CFE und EFRE Förderung

Ein Gründerstipendium verschaffte dem Start up die Anschubfinanzierung, das CFE sorgte für die nötige Beratung: »Gerade das sogenannte Inkubatorprogramm des CFE zu Beginn mit seinen umfassenden, interdisziplinären Infos zur Gründung war extrem hilfreich«, erinnert sich Frederic Palesch. »Auch sonst gibt es eigentlich zu jedem Thema des Gründerlebens eine Veranstaltung, einen Vortrag oder ein #Coaching.« Besonders wichtig war die Unterstützung des CFE bei der Suche nach geeigneten Förderprogrammen und bei der Antragstellung: »Das hätten wir alleine nie gefunden und geschafft«, so Palesch.

Inzwischen hat Marvin Lohses Idee mit Renephro deutlich an Gestalt gewonnen. Das Start up wird vom Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) NRW gefördert, und der Prototyp bewährt sich bereits in zahlreichen Testdurchläufen. Fachliche Unterstützung kommt auch von der FH Bielefeld: Prof. Dr. Dirk Lütkemeyer, im Fachbereich Ingenieurwissenschaften und #Mathematik zuständig für das Lehrgebiet Charakterisierung biotechnologischer Produkte, betreut das Team in inhaltlichen Fragen und bei der #Labor Arbeit. Das Team ist sich sicher: »Ohne die Unterstützung des CFE wären wir nicht da, wo wir jetzt sind.«