Priester ohne Kirche, geht das?

  • Das Weihesakrament als »unauslöschliches Prägemal« ist unwiderruflich

Von Dr. theol. Philipp Tropf, Aschaffenburg, 29. März 2022

Sie sind gläubig, haben aber das Vertrauen in die »Institution Kirche« verloren? Sie sind aus der Kirche ausgetreten oder stehen kurz davor? Sie möchten seelsorgerisch begleitet werden, aber die Kirche ist kein Partner mehr für Sie? Angesichts des immer rapider voranschreitenden und des inzwischen unübersehbaren Verfalls der römisch-katholischen Kirche, stellt sich immer drängender die Frage: Wer fängt die heimatlos gewordenen Gläubigen auf?

Jährlich treten mehr als 1 Million Menschen aus der Kirche aus und sie werden dabei von ganz unterschiedlichen Gründen bewegt. Manche haben schon lange ihren Glauben verloren und waren nur noch Mitglied, weil »es sich so gehört«. Andere geben an, sich am System der verpflichtenden Kirchensteuer zu stören. Immer häufiger aber hört man im Bekanntenkreis, dass die Menschen von der Kirche schlicht und einfach bitter enttäuscht sind. Die seit Jahrzehnten nicht abreißende Aufdeckung immer schrecklicherer Missbrauchsfälle sowie der unverantwortliche Umgang von Bischöfen und Kardinälen mit den Tätern beschäftigen gigameterlange Untersuchungsakten der Staatsanwaltschaft. Eine davon enthält sogar die ebenso unnötige wie unsinnige Falschaussage des emeritierten Papstes Benedikt XVI., dem so viele Deutsche ihr Vertrauen, ja ihre Verehrung geschenkt hatten. Die Enttäuschung der Gläubigen findet keine Grenzen und die Austritte kein Ende.

Der ganz große Crash aber steht der Kirche noch bevor

Engagierte Laien, Theologen und Bischöfe in Deutschland machen sich seit mehreren Jahren bis zur Erschöpfung auf dem sogenannten »Synodalen Weg« ernsthaft und tiefgreifend Gedanken, wie und auf welche Weise die Kirche reformiert werden könnte. Dafür erhalten die als »Deutschsynodale« Verunglimpften massive Drohungen aus Rom, die das Schlimmste befürchten lassen: Eine neue Kirchenspaltung! »Häretischen Bischöfen darf man nicht gehorchen!«, brüllt Kardinal Gerhard Ludwig Müller durch die Gazetten konservativer Kirchenblätter. Zwar hatte ihn Papst Franziskus 2017 als Präfekt der Glaubenskongregation (früher die Römische Inquisition) geschasst, ernannte ihn jedoch kurze Zeit später zum Richter der Apostolischen Signatur, des höchsten päpstlichen Gerichtshofes. Die deutschen Bischöfe dürfen also zu Recht vor seinen Möglichkeiten, sie (kirchen-)rechtskräftig zu verurteilen, zittern.

Es ist für jeden Beobachter guten Willens schmerzhaft zu sehen, dass es bei den Auseinandersetzungen zwischen der Amtskirche und den Gläubigen niemals um das Gleiche geht. Man ringt gewissermaßen auf unterschiedlichen Ebenen: Der Amtskirche geht es um ihre Macht oder besser um den dramatischen Verlust derselben. Den Gläubigen hingegen geht es vor allem um eines: Ihren Glauben und wie sie ihn im 21. Jahrhundert leben können. Die Amtskirche ist bereit, um ihrer Macht Willen viele Opfer zu bringen und betreibt eine Politik der Ausschlusskriterien! Sie schließt rigoros alle von der Kirchengemeinschaft aus, die nicht in ihr Bild passen – alle, die nicht »in ihrer Gnade« stehen: Geschiedene Wiederverheiratete, LGBT+, Diakoninnen und Priesterinnen, verheiratete Priester, dogmenfreie Christen et cetera.

Dabei fragt sie nicht: »Was braucht Ihr?«, »Können wir Euch helfen?«, »Wie können wir Euren Glauben an einen guten Gott stärken?« Sie sagt vielmehr: »Ihr seid im Stand der schweren Sünde! Hinaus! Ihr habt keine Gemeinschaft mehr mit uns!« In früheren Zeiten mögen solche Verbannungen und Exkommunikationen noch die Angst vor dem Höllenfeuer geschürt haben. Aber in Zeiten, in denen die Kirche selbst derartig in der Kritik steht und wegen ihrer eigenen Uneinsichtigkeit an sich selbst zerbricht, sagen heute Millionen von Gläubigen: »Verstanden, wir gehen!«

Von der Kirche ausgestoßen und mit ihrem Glauben allein, leiden jedoch viele Gläubige darunter, nun keine Seelsorge mehr zu erhalten. Sie leiden darunter, die lebensbegleitenden Rituale nicht mehr feiern zu dürfen, ihrem Glauben durch den Jahreslauf und seiner Feste keinen rechten Ausdruck mehr geben zu können. Sie befinden sich in einem Dilemma: Mit der Kirche kann ich nicht leben, aber ohne meinen sinnlich praktizierten Glauben eben auch nicht.

Die Lösung aus dem Dilemma ist der Priester ohne Kirche

Die Lösung dieser seelischen Not wird in Zukunft darin liegen, dass Priester ohne Kirche – Priester also, die aufgrund ihrer Heirat aus dem Kirchendienst entlassen und exkommuniziert wurden – ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen in der Welt gerecht werden und freiberuflich ihren priesterlichen Dienst wieder aufnehmen. »Dürfen sie das?«, so lautet vielleicht die erste erschreckte Frage. »Ja, natürlich!«, lautet die klare Antwort.

Seine Berufung erhält der Priester von Gott. Die Priesterweihe spendet der Vertreter einer Kirche, in der Regel ein Bischof, als einen sogenannten »character indelebilis« – also als ein unauslöschliches Prägemal. Das besagt, dass der einmal Geweihte unwiderruflich und für immer Priester bleibt, auch wenn er kein kirchliches Amt mehr innehat. Sogar wenn ihm aus disziplinarischen Gründen die »Erlaubnis« zur Ausübung von Amtshandlungen innerhalb einer Kirche entzogen und er aus dem Klerikerstand entlassen wurde, kann er weiterhin noch gültig die Sakramente spenden. So steht es im Can. 290 des Codex Iuris Canonici, dem Kirchengesetz.

Im Klartext heißt das: Auch der aus dem Kirchendienst entlassene Priester bleibt Priester und ist Gott und seinem Gewissen verantwortlich. Der aktuelle Ruf Gottes an ihn sagt: »Sorge Du für all die Ausgestoßenen und Enttäuschten! Für die Seelen, die der Hohe Rat verurteilt und verbannt hat, aber die doch meine Kinder sind!« Dieser Ruf Gottes an den Priester gilt für immer und endet nicht, nur weil ein Bischof mit seiner Heirat nicht einverstanden ist.

Die Antwort auf die Frage »Priester ohne Kirche – geht das?« lautet eindeutig »Ja!« Sie ist Gottes Zeichen in unserer Zeit an Millionen von Gläubigen, die heute ohne Kirche dastehen. Und sie ist die Hoffnung auf ein lebbares Christentum im 21. Jahrhundert, denn ein Priester ohne Kirche begleitet offener und flexibler als ein kirchlicher Priester es je dürfte, da er nicht an deren Gesetze und dogmatische Grenzen gebunden ist.

Zum Autor

Dr. theol. Philipp Tropf, geb. 1977 in Unterfranken; Studium der Theologie, Philosophie und Psychologie in Wien und Salzburg; Promotion im Fach Kirchengeschichte; anschließend selbständig mit einer Beratungsgesellschaft; ab 2013 umfassende pastorale Ausbildung im Bistum Würzburg; 2016 Priesterweihe; anschließend Seelsorger in der Rhön und im Spessart; seit 2019 glücklich verheiratet – deshalb aus dem röm.-kath. Kirchendienst entlassen; 2020 gemeinsam mit Ehefrau Bettina Tropf Buchveröffentlichung »Todesursache Unfehlbarkeit!« Eine Kirche nimmt Abschied von dieser Welt, heute als freiberuflicher Priester ohne Kirche tätig.