Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner gab der »tz« in der Freitags-Ausgabe und »tz online« das folgende Interview. Die Fragen stellten Dieter Sattler und Christiane Warnecke …

Wir beginnen mit zwei Fragen, die Leser an uns herangetragen haben, weil sie fürchten, dass Politiker ihnen dazu nie die Wahrheit sagen: Wie sollen wir jemals die Schulden zurückzahlen, die wegen Corona aufgelaufen sind?

Durch eine starke Wirtschaft, mit auf den Weltmärkten erfolgreichen Produkten und gut bezahlten Jobs, die Mittel bereitstellt, um den Staat zu finanzieren und ihn aus den Schulden zu befreien.

Im ersten »Triell« der Kanzlerkandidaten hat sich keiner der drei getraut zu sagen, was der Kampf gegen den Klimawandel kosten wird. Traut sich der FDP-Spitzenkandidat zu, über Belastungen der Bürger zu reden?

Es wird nach den bisher vorhandenen Studien etwa zwei bis 2,5 Billionen Euro kosten, Deutschland im übernächsten Jahrzehnt klimaneutral zu machen. Dies zeigt: Wir müssen Klimaschutz so effizient wie möglich angehen, nicht mit teurer Symbolpolitik nach Art der Grünen. Kostenkontrolle gelingt am besten im marktwirtschaftlichen Wettbewerb, wenn Ingenieurinnen und Techniker, wenn Verbraucherinnen und Investoren gemeinsam den Weg suchen, wie man am günstigsten Kohlendioxyd einspart. Wir brauchen einen Strategiewechsel – weg von Verboten, staatlicher Detailsteuerung und Einzelsubventionen hin zu einem marktwirtschaftlichen System mit Technologieoffenheit und Erfindergeist.

Gezielt fördern wollen Sie die erneuerbaren Energien nicht?

Die erneuerbaren Energien sind bereits marktfähig. Zusätzliche Subventionen sind nicht mehr erforderlich. Wir brauchen stattdessen schnelle Planungs- und Genehmigungsverfahren, insbesondere für die Offshore-Windenergie vor den Küsten. Wir brauchen möglicherweise auch bundesgesetzliche Planfeststellung bei national bedeutsamer Infrastruktur wie den Stromtrassen.

Sie bevorzugen eine Koalition unter Führung der CDU auch für den Fall, dass die Union nicht stärkste Kraft wird. Warum biedern Sie sich so sehr an?

Wir biedern uns nicht an. Wir sind eine eigenständige Partei und haben unser eigenes Programm. Im Zentrum steht bei uns die Freiheit des Einzelnen. Da gibt es eine größere Nähe zu CDU und CSU als zu SPD und »Grünen«. Herr Scholz kann nicht davon ausgehen, dass er Kanzler wird, nur weil er jetzt in Umfragen vorne liegt. Die Geschichte hat gezeigt: Es kommt darauf an, eine Mehrheit im Bundestag hinter sich zu bekommen.

Sollten die Grünen der Jamaika-Idee nicht folgen wollen, weil sie eine größere inhaltliche Nähe zur SPD haben, bliebe für die FDP als Regierungsoption nur eine Ampelkoalition. Was müsste Olaf Scholz Ihnen anbieten?

Wir können nicht den eigenen Kurs den anderen komplett diktieren, das ist klar. Aber man muss sich ansehen, ob ein Angebot noch dem entspricht, wovon man selbst überzeugt ist und was man den Wählern an Zusagen gegeben hat.

Was müsste inhaltlich in einem Angebot drinstehen?

Ich nenne einmal Beispiele. Wir würden prüfen: Gibt es eine Initiative für ein besseres Bildungssystem. Zweitens: Wir müssen einen Kickstart für die Erholung unserer Wirtschaft auf den Weg bringen. Drittens: eine rationale Klimapolitik.

Wo liegen Ihre roten Linien?

Keine Steuererhöhungen und keine Aufweichung der Schuldenbremse – das sind unsere Leitplanken. Innerhalb der Leitplanken kann gerungen werden.

Würden es Ihnen Ihre Wähler noch einmal verzeihen, eine mögliche Regierungsbeteiligung auszuschlagen, vor allem, wenn sie damit einem Linksbündnis den Weg ebenen würden?

Die FDP ist fähig zum Kompromiss, das zeigen unsere Regierungsbeteiligungen in den Ländern. Aber wir sind auch in der Lage, harte Entscheidungen zu treffen wie 2017, als wir die von CDU und Grünen geplante Linksverschiebung der deutschen Politik absagen mussten. Eine Linksverschiebung wird es auch dieses Mal mit uns nicht geben.

Olaf Scholz hat sich ja inhaltlich zuletzt deutlich von der Linkspartei abgegrenzt. Glauben Sie, er hält sich die Option »Rot-grün-rot« nur offen, um mit Ihnen härter verhandeln zu können?

Ich glaube, dass in Wahrheit große Teile der SPD und auch der Grünen mit der Linkspartei liebäugeln. Denn Verbote und Enteignungen wären mit der FDP nicht möglich.

Wie wollen Sie die Modernisierung und Digitalisierung im Bildungswesen finanzieren?

Dadurch, dass der Bund sich stärker mit engagiert. Ich wäre dafür, im Bundeshaushalt die überzogenen Subventionen zum Beispiel für dienstliche E-Autos zu reduzieren und lieber die Bildung zu stärken. Der Bund sollte auch Qualitätsvorgaben machen können.

Wie möchten Sie die Rente für die junge Generation sichern?

Innerhalb der gesetzlichen Rente wollen wir zwei Rentenbeitragspunkte ansparen zur Anlage in Wertpapieren am internationalen Kapitalmarkt unter staatlicher Verantwortung nach schwedischem Vorbild. So können wir den Beitrag für die Jüngeren stabilisieren und das Rentenniveau für die Älteren. Die Differenz muss aus dem Bundeshaushalt finanziert werden.

Max Weber hat zwischen Verantwortungs- und Gesinnungsethik unterschieden. Was sagen Sie zu der These, Frau Merkel hat in der Pandemie verantwortungsethisch gehandelt und die FDP wäre eher gesinnungsethisch im Sinne der Freiheit unterwegs?

Andersherum: Verantwortungsethik bedeutet, dass man nicht nur die edlen Motive ins Zentrum stellt, sondern nicht absieht von den praktischen Ergebnissen einer Politik. Und hier muss man zum Beispiel sehen, dass Schüler nicht zur Schule gehen konnten oder sich viele Menschen isoliert fühlen.

Sie sagten einmal, das brave Verhalten der Deutschen in der Corona-Krise habe Sie an den Roman »der Untertan« denken lassen: Ist derjenige, der sich an Regeln hält zwangsläufig ein autoritärer Charakter?

Nein, es geht um die Frage, ob man sich ein kritisches Bewusstsein auch gegenüber den Anordnungen des Staates behält. Es ist die Rolle einer liberalen Partei, den Geist der Verfassung zu verteidigen.