#Gütersloh, Wir amüsieren uns weiter, #Medien und #Kultur im 21. Jahrhundert

Was sind eigentlich die größten, weltbewegendsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte? Es gibt sehr, sehr viele solcher Erfindungen. Wobei die meisten eigentlich Entdeckungen und Nutzbarmachungen natürlicher Phänomene sind. Wirkliche Erfindungen, die eine Emergenz aufweisen, gibt es nicht ganz so viele. Zugegeben, das ist sehr eurozentristisch, was aber nicht normativ sondern deskriptiv ist. Die Gründe hat Jared Diamond dargelegt, es hat mit den Ressourcen und Umweltbedingungen zu tun, insbesondere mit der Zahl der domestizierbaren Arten.

#Emergenz

Emergenz ist es im Grunde genommen auch, was Kunst ausmacht. Was sie vom Kunsthandwerk, von reiner Unterhaltung oder reiner Ästhetik unterscheidet. Ein Spaßvogel hat einmal gesagt, Kunst sei das, was man in Museen fände. Andere meinen, was Kunst sei, könne jeder für sich selbst entscheiden. Wieder andere sagen, »Kunst« käme von »Können«. Was natürlich Unsinn ist. Aber #Kunst hat einen tieferen Sinn, dahinter steckt ein Gedanke, eine Idee, die nicht banal oder trivial ist. Der Künstler will damit etwas sagen und sagt damit auch etwas. Das ist wahre Kunst. Wobei die Grenzen in der Realität natürlich fließend sind. Der Begriff wird geradezu inflationär verwendet.

Erfindungen

Die größten, weltbewegendsten Erfindungen der Menschheitsgeschichte sind die Uhr, der Buchdruck mit beweglichen Lettern, der Telegraph, die Fotografie, das Fernsehen und der Mikrocomputer.

Die Uhr

Was tut eine Uhr? Sie misst nicht die Zeit, denn die Zeit kann man im eigentlichen Sinn nicht »messen«. Könnte man es, müsste man eine Uhr ja nicht stellen. Eine alte arabische Weisheit besagt: Ihr habt die Uhr, wir haben die Zeit. Arabische Weisheiten, Weisheiten an sich, sind eigentlich immer alt. Das hat auch etwas zu bedeuten. Die überwiegende Zeit ihrer Existenz hat die Menschheit ohne #Uhr verbracht. Mit der Erfindung der Uhr hat, so Postman, Gott die Gewalt über die Zeit verloren, damit ist den Menschen der Begriff der Ewigkeit verlorengegangen. Und ausgerechnet die Kirche ist auf den Zug aufgesprungen und hat allenthalben Kirchenuhren installiert. Ein einigen Ländern, beispielsweise auf Malta, gibt es an denselben #Kirchtürmen Uhren, die laufen, und Uhren, die stillstehen, um den Teufel zu verwirren. Plötzlich wurde dank der Uhren unser Tagesablauf gegliedert, wir haben Termine. Und wir haben immer weniger Zeit, je mehr Uhren wir haben. Ãœberall haben wir Uhren … an diversen Haushaltsgeräten wie Backöfen oder Mikrowellen und Dampfgarern gibt es Uhren, wir tragen sie am Handgelenk, in Computern, Fernsehern und Smartphones gibt es Uhren, wir haben »Weckuhren«, Uhren hängen an der Küchenwand, stehen im Flur, interessanterweise hängen sie selten im Wohnzimmer, wo wir die meiste Zeit verbringen.

Der #Buchdruck mit beweglichen Lettern

Buchdruck gab es auch schon vor Gutenberg. Aber er hat den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden, sodass Bücher für die Massen gedruckt werden konnten. Was hat er gedruckt? Erst einmal Bibeln. Das Christentum hat tatsächlich unsere jüngere Geschichte dominiert, zahllose Bauwerke und »Kunstwerke« waren religiös motiviert und wurden von den Kirchen finanziert. Mit einem Buch ist es möglich, komplexe Sachverhalte einem breiten Publikum zugänglich zu machen, aber einmal gedruckt, sind sie auch in der Welt und lassen sich nicht mehr zurücknehmen, sie sind festgeschrieben. Es gibt sie schwarz auf weiß. In den USA gab es die Glaubensgemeinschaft der »Brethren«, deren Mitgliedern Gräueltaten unterstellt wurden. Jemand gab ihnen den Rat, ihre Glaubensinhalte als Buch zu veröffentlichen, um die Sache klarzustellen. Dagegen haben sie sich mit dem Argument geweigert, dann seien diese Inhalte ja auf ewig festgeschrieben, das widerspräche aber ihrer Ãœberzeugung, dass Gott sie immer wieder mit neuer Erkenntnis segne. Und was ist nun heute aus dem Buch geworden? Das Fernsehen hat es nicht verdrängt, es hat es lediglich besiegt, aber es werden so viele Bücher gedruckt, wie niemals zuvor. Aber was sind das für Bücher? Hauptsächlich wird Banales und Triviales gedruckt, Unterhaltung. Teilweise auch Meinung. Und viel absoluter Nonsens. Man braucht sich nur die Bestsellerlisten anzuschauen. Wie kann es sein, dass ein pseudowissenschaftliches, geradezu volksverhetzendes Buch wie das von Bhakdi in den Bestsellerlisten landet? Oder eine #Bohlen #Biographie, die noch nicht einmal von ihm selbst geschrieben wurde, und das dann auch noch lange vor seinem Tod. Wirkliche Erkenntnis bringen nur wenige Bücher. Ein weiterer Aspekt ist der, dass sich der Schreiber an ein unsichbares Publikum wendet und dass es kein Feedback gibt.

Der #Telegraph (Telegraf)

Vor der Erfindung des Telegraphen konnte man Nachrichten nicht schneller verbreiten, als man sich zu Fuß oder zu Pferd fortbewegen konnte. Man hatte es mit Nachrichten zu tun, die aus dem unmittelbaren Umfeld kamen und unmittelbar mit einem selbst zu tun hatten. Oder sie waren veraltet. Mit dem Telegraphen konnte man plötzlich Nachrichten in Lichtgeschwindigkeit über den ganzen Erdball verbreiten. Es entstand der Begriff der »News«, des »Neuen vom Tage«. Und was waren das für Neuheiten? Was hatten sich denn beispielsweise die Leute aus Texas und die Leute aus New York zu sagen? Eine der ersten Nachrichten, die aus England nach Amerika übertragen wurde, war die, dass die Prinzessin an Keuchhusten litt. Die »News« waren in erster Linie Nachrichten über Naturkatastrophen, Unfälle und Verbrechen. Wie man heute sagt: Menschen, Tiere, Sensationen. Aus Leuten, aus bekannten Leuten, wurden »Prominente«. Es ging in erster Linie um Dinge, die man als »Boulevard« bezeichnet, zu deutsch: »Gosse«.

Die #Fotografie

Der Erfolg und die Bedeutung der Fotografie fußen auf der Tatsache, dass das Sehen der mit Abstand wichtigste Sinn ist. Nicht umsonst sagen die meisten Leute, sie glaubten nur das, was sie sähen. Es ist aber auch der Sinn, der am einfachsten betrogen werden kann, mit dem wir am einfachsten manipuliert werden können, wie beispielsweise optische Täuschungen eindrucksvoll beweisen. Mit der Fotografie war es möglich, die Wirklichkeit einzufangen und zu reproduzieren. Natürlich geht das mit Sprache genauso, unter Umständen sogar besser, aber man glaubt eher dem Bild als dem Wort. Dabei zeigt ein Foto nur einen winzigen zeitlichen und räumlichen Ausschnitt der Wirklichkeit und verzerrt diese allein schon durch diese Tatsache. Aber ein #Foto ist dennoch grundsätzlich wahr, es sei denn, es wäre manipuliert. Dann würde es zu einem Bild. Dass beides unter Umständen nicht voneinander zu unterscheiden ist, wird nur allzu gern missbraucht. Es heißt auch, ein Bild sage mehr als tausend Worte. Das stimmt nicht. Es sagt etwas ganz anderes. Es sagt, wie etwas aussieht, etwas, das man unter Umständen mit Worten gar nicht ausdrücken kann. Wie eine Farbe aussieht, kann man nicht beschreiben, man kann es nur zeigen. Man kann eine Metapher benutzen, aber die muss man dann auch vorher gesehen haben. Wobei ein Bild durchaus tausend Worte aufwiegen kann. Es braucht einen Kontext, und liefert selbst einen Kontext für Gesagtes. Und sei es nur ein Pseudo-Kontext. In dem Sinne, dass einem etwas gesagt wird … und wenn einem dann ein Bild dazu geliefert wird, sagt man: »Ah! Ich sehe!«.

Das #Fernsehen

Das Fernsehen vereint Wort und Bild, sogar bewegte Bilder. Das eine funktioniert nur schwer ohne das andere, wie man leicht herausfinden kann, indem man nicht hinsieht oder umgekehrt den Ton abstellt. Es bedient also die beiden wichtigsten Sinne und ist deshalb so erfolgreich, dass es den öffentlichen Diskurs bestimmt. Aber das Buch hat es dabei nicht verdrängt, nur besiegt. Was hoffen lässt. Allerdings ist es deshalb so erfolgreich, weil es diese Sinne ständig reizt, man spricht auch von »Mental Load«. Es ist in erster Linie Unterhaltung. Und weil das Medium die Botschaft ist, ist im Fernsehen praktisch alles Unterhaltung. Ausführlich kann man das in »Wir amüsieren uns zu Tode« nachlesen, eines der wichtigsten Bücher überhaupt, denn es geht ums Fernsehen, das wichtigste Medium überhaupt. Praktisch jeder hat einen Fernseher, aber nicht alle haben Bücher. Denn hören und sehen kann jeder. Ernsthaft Lesen und komplexe Sachverhalte nachvollziehen, gar nachdenken kann hingegen nicht jeder. Und so sind auch die Nachrichten in erster Linie Unterhaltung: Sie werden von gutaussehenden Menschen präsentiert (was hat das Aussehen mit der Qualifikation eines Nachrichtensprechers zu tun?), es gibt bewegende Bilder, die »Nachrichten« werden in leicht aufzunehmenden Häppchen serviert, die Sendungen beginnen mit eindrucksvollen Intros und aufregender Musik (was hat das mit den »Nachrichten« zu tun?). Vieles im Fernsehen ist Propaganda – das gilt nicht nur für Werbung, sondern auch für Spielfilme oder Dokumentationen.

Aber alles ist Unterhaltung, sonst würde es sich niemand ansehen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die haben dann verschwindend geringe Einschaltquoten. Wie beispielsweise das »Telekolleg«, das es gar nicht mehr gibt. Talkrunden sind hingegen reine Unterhaltung. Meist Prominente Leute, teilweise auch Experten, geben ihre Ansichten zum Besten. Eine Diskussion kann im Grunde genommen nicht stattfinden. Dann müsste ständig jemand dazwischenreden und ständig müsste jemand sagen, dass er erst einmal in Ruhe darüber nachdenken müsste. Zum einen ist dafür keine Zeit, zum anderen wäre der Punkt längst vom Tisch und jemand, der nachdenkt, gibt fernsehtechnisch nichts her. Die Zuschauer würden umschalten. Natürlich kann man auch von Unterhaltung etwas lernen, man kann überall etwas lernen. Andererseits: Man kann ja mal versuchen, wiederzugeben, was die Inhalte der Nachrichten von einem bestimmten Tag vor einer Woche waren. Wann bringen einen die Nachrichten dazu, seine Pläne für den Tag zu ändern? Abgesehen vielleicht vom Wetterbericht. Oder von den Börsenkursen. Aber hat der Zuschauer einen Plan, um den Konflikt in Bergkarabach zu lösen? Bestenfalls wählt er alle paar Jahre Leute an die Regierung, die behaupten, solche Lösungen zu haben.

Das Fernsehen hat somit einen Diskurstyp etabliert, der Logik, Vernunft, Folgerichtigkeit und Widerspruchslosigkeit preisgegeben hat. In der Ästhetik bezeichnet man das als »Dadaismus«, in der Philosophie als »Nihilismus«, in der Psychiatrie als »Schizophrenie« und in der Theatersprache als »Varieté«. Das Medium ist die Botschaft. Fernsehen ist Unterhaltung, und Unterhaltung dissoziiert, außerdem löst es im Gehirn Alphawellen aus, aber einer Theorie zufolge macht es auch Angst. Und nicht umsonst stellt man Strafgefangene sehr wirkungsvoll dadurch ruhig, dass man ihnen einen Fernseher in die Zelle stellt.

Der Mikrocomputer

Der Mikrocomputer, insbesondere auch das #Internet, vereinen Bilder, bewegte Bilder, geschriebene und gesprochene Sprache und Interaktion in einem Medium. Sie bieten vermeintlich unbegrenzte Möglichkeiten. Aber die Erfahrung mit dem Fernsehen lässt hoffen, dass auch das Internet das Buch nicht verdrängen wird, das Fernsehen auch nicht. Aber womöglich wird es das Fernsehen und das Buch besiegen. Bei einigen hat es das vielleicht schon. Und was macht man daraus? Die Epistemologie des Internets geht über die des Buches und des Fernsehens kaum hinaus. Was macht man aus der Interaktion? Beispielsweise kulminiert die Erfindung des Mikrocomputers in Dingen wie dem Smartphone oder Instagram. Man kann theoretisch immer mehr Menschen immer mehr sagen, aber gesagt wird nicht mehr. Eher weniger. Was wird bei Instagram gesagt? Mit den modernsten Errungenschaften der Hochtechnologie zeigen hauptsächlich junge Frauen sich oder ihre Gesichter der Welt, andere junge Leute klicken dann auf ein Herzchen oder kommentieren diese Fotos oder Filmchen mit Aussagen, die meist kaum über »Hab’ DIch lieb«, »Du Süße«, »Supi!« und banale Emoticons auf dem Niveau deutlich unterhalb von Hieroglyphen hinausgehen.

Das sind also die großen Errungenschaften des »Internet 2.0«? Bei Facebook kulminiert das ganze überwiegend in Nonsens, Pöbeleien und teilweise in pseudoemotionalem, manierierten Gehabe und simulierter Pseudo-Empathie. Das Medium ist die Botschaft (besser: die Metapher). Sowohl das abstrakte Medium als auch das konkrete Medium. Die »Bild«-»Zeitung« ist ein Paradebeispiel dafür. Das alles bedeutet auch, dass bei der Ãœbertragung von Inhalten auf ein anderes Medium etwas anders ist, dass womöglich etwas verlorengeht, unter Umständen auch etwas gewonnen wird. Aber das, was verlorengeht, ist womöglich alles, worauf es ankommt. Es lässt sich nicht alles digitalisieren, manches nur teilweise, einiges gar nicht. Dass sich alles digitalisieren ließe, ist der große Irrglaube, der zurzeit vorherrscht. Natürlich kann man beispielsweise ein Buch auch als E-Book darstellen. Man gewinnt sogar einiges: Man braucht keinen Platz im Bücherregal, man hat eine Suchfunktion, man kann zahllose Bücher mit sich herumtragen. Aber man verliert auch einiges: Man hat keine Bücher im Bücherregal stehen, man kann nicht schnell wahllos darin herumblättern, man kann keine Notizen hineinkritzeln, man kann die Bücher nicht anfassen und fühlen, man kann das Buch nicht aufgeschlagen beiseite legen, und einen E-Book-Reader kann man nicht unter ein Tischbein legen. Ein Stapel Bücher oder ein volles Bücherregal vermittelt ein anderes Gefühl als ein gefüllter E-Book-Reader. Letzterer hat eine gewisse Beliebigkeit. Zumal man in einer Buchhandlung kompetent beraten wird, im Optimalfall kennt man dort seinen Geschmack und empfiehlt lesenswerte Bücher und man bibliographiert.

Für E Books braucht man keine #Buchhandlung. #Amazon berät einen nicht und kennt auch nicht seinen Geschmack, bestenfalls schlägt es einem die aktuellen Bestseller vor. Man kann dort auch schlecht herumstöbern und in Büchern herumblättern. Man muss schon wissen, was man will, und bestenfalls kann man bei dem einen oder anderen Buch die ersten paar Seiten anlesen. Es gibt bei Amazon keine Themenecken, keine Büchertische, niemanden, der einem von aktuellen Büchern einen Kurzinhalt aufsagen kann und der auch mal sagt, dass ein Buch nichts taugt. Und man braucht Strom und den teuren E Book Reader, der auch kaputtgehen kann. Und tatsächlich bezeichnen kluge Leute das, was in den »sozialen« Netzwerken stattfindet, als Weißes Rauschen, als White Noise.

Zum einen hat ein Psychologe einmal gesagt, Fernsehen sei für das Gehirn in etwa das gleiche wie das Anstarren einer weißen Wand. Das ist natürlich ein Scherz, aber er hat einen wahren Kern. Zum anderen gibt es die Annahme, dass wir womöglich Signale einer außeridischen Zivilisation gar nicht erkennen könnten, weil sie so stark komprimiert wären, also technisch so elaboriert wären, dass sie von Weißem Rauschen nicht zu unterscheiden wären. Woraus man dann auch schließen kann, dass das Weiße Rauschen der kosmischen Hintergrundstrahlung das vermeintliche Informationsparadoxon Schwarzer Löcher auflösen kann. Und ein weiteres witziges Paradoxon wäre das, dass es dafür spricht, dass es sehr viele außerirdische Zivilisationen gibt, dass wir bisher kein Signal einer solchen Zivilisation empfangen haben.