Gütsel, vor mehr als 20 Jahren als Internetportal von einer Gruppe von Gütersloher Einzelhändlern, Gastronomen und Dienstleistern gegründet, dem »Gütsel-Freundeskreis«, wurde von der EU im Rahmen einer arbeitsmarktpolitischen Maßnahme gefördert. Der lokale Pitch wurde von Bertelsmann veranstaltet. Konkret ging es um ein lokales Online-Shoppingportal inklusive Citylogistik und einem stadtweiten Geschenkgutschein – heute gibt es den Gütersloher Geschenkgutschein des Stadtmarketings, derzeit den von der Stadt geförderten Sondergutschein. Vor gut fünf Jahren gab es dann dieses Online-Shoppingportal als Neuauflage in Form der kostenlosen Shopping Cloud. Ebenfalls mit einer Citylogistik. Was nun seit Kurzem allenthalben probiert wird und sich regelmäßig als Subventionsgrab herausstellt, funktioniert ganz einfach nicht. Lokale Shoppingplattformen bringen nichts, denn das Internet ist nicht lokal, es ist global, Es führt den Gedanken »think globally, act locally« ad absurdum. Funktionieren tun bestenfalls lokale Online-Communitys. Die müssen aber vielfältig sein, eine reine Shoppingplattform konkurriert zwangsläufig mit Protagonisten wie Amazon und kann nicht gewinnen. Denn Amazon ist nicht ein Onlineshop, Amazon ist das Onlineshopping an sich (Richard David Precht). Von Anfang an war Gütsel crossmedial – und das müssen nun auch die lokalen Einzelhändler, Gastronomen und Dienstleister werden. Der HDE spricht von »Hybridhandel«, im Marketing spricht man von »Multichannel«, bei Medien spricht man von »Crossmedialität«. Das Ziel ist dabei nicht, als lokaler Einzelhändler beim nationalen oder gar internationalen Online-Business mitzumischen. Das Ziel ist ein ganz anderes: Seine Community auf mehreren Kanälen zu erreichen, unter anderem eben auch mit einem Onlineshop, der das Geschäft online sichtbar macht. Aber auch in den »sozialen Medien«. Einige Gütsler Geschäfte tun bereits genau das, teilweise erfolgreich. Und in der Tat ist Amazon dabei, lokale Ladengeschäfte zu eröffnen. Was wiederum beweist, dass es ohne Läden nicht geht. Jeff Bezos ist ja nicht dumm. Die Community ist dabei zum einen der vorhandene Kundenstamm, zum anderen aber auch die Stadt an sich. Und hier kommen lokale Plattformen ins Spiel – wie eben Gütsel. Durch die Präsenz in den wichtigen »sozialen Medien« bieten sich den Unternehmen nicht nur reichweitenstarke Kanäle, sondern durch die umfangreichen Interaktionen wird auch die Reichweite der unternehmenseigenen Kanäle erhöht – für die Beiträge, bei denen die Interaktionen (Liken, Kommentieren, Teilen) stattfinden und auch für zukünftige Beiträge. So funktionieren die Algorithmen von Facebook, Instagram & Co. Die sogenannte »organische Reichweite« ist dabei wesentlich geringer als die Zahl der sogenannten »Follower«. Bei Facebook geht man von einem einstelligen Prozentbereich aus, bei Instagram ist von 25 Prozent im Best case die Rede. Und »Likes« sind an sich oft wenig substantiiert, sie erhöhen aber die organische Reichweite. Bei den Plattformen muss man differenzieren: Bei Facebook sind vor allem die sogenannten »Boomer« präsent, wenngleich 99 Prozent der User Karteileichen und/oder inaktiv sind, bei Instagram sind es eher jüngere Leute, bei Linkedin tendenziell eher Unternehmer und Geschäftsleute, vornehmlich Coaches und Berater. Pinterest spielt keine Rolle. Bei Tik-Tok sind Kids präsent, die Plattform lässt sich aber für klassische Medien praktisch nicht nutzen. Hier geht es bestenfalls um kurze Filmchen, meist Selbstdarstellungen von Teenagern. Snapchat hält – wie der Name schon sagt – nur kurzfristig Fotos vor. Eine große Angst muss man den lokalen Einzelhändlern nehmen: Die Angst, für Onlinekanäle zu viel oder Unmögliches leisten zu müssen. Auch Handyfotos reichen völlig aus, textlich kann man das zusammenschreiben, was man dem Kunden auch im Laden erzählen würde, oder Texte der Lieferanten übernehmen. Einen Shop kann man nach und nach aufbauen, indem man sich beispielsweise vornimmt, täglich zehn Artikel einzustellen. Es gilt lediglich, ein paar rechtliche Grundlagen wie die Preisangabenverordnung, die Lieferzeitangabe oder Liter- oder Kilopreisangaben zu beachten. Aber dafür gibt es ausreichend Berater in Gütersloh. Preiswerte Software und Plattformen für Onlineshops gibt es ebenfalls reichlich, auch das Stadtmarketing, Wirtschaftsförderung und die Werbegemeinschaft sind aufgerufen, für Aufklärung zu sorgen, zu beraten und für die Kommunikation unter den Protagonisten zu sorgen. Einige sind ja bereits in mehreren Kanälen aktiv. Amazon kann beispielsweise aus epistemologischer Sicht bestimmte Kanäle nicht besetzen: Beratung, Stöbern, Anfassen, Anprobieren, Schmecken, Riechen, Aufessen, Trinken, Durchblättern, sofort mitnehmen, persönliche Gespräche mit Händlern (ein Chat ersetzt das nicht, ein Chat ist etwas ganz anderes als ein persönliches Gespräch, zumal mindestens 80 Prozent der Kommunikation nonverbal stattfindet), persönliche Bekanntschaft mit den Händlern, Gemeinwesen, Körpersprache, Mimik, Gestik und so weiter. Amazon bringt auch keine Fotos oder Artikel von lokalen Unternehmen und informiert über keine Veranstaltungen oder lokale Themen. Amazon sponsert auch keine lokalen Kulturveranstaltungen. Vom den Themen Steuern und Niedriglohnjobs ganz zu schweigen. Die üblichen Argumente sind nun hinlänglich bekannt, bisher haben Maßnahmen wie Events wenn überhaupt nur kurzfristig und punktuell funktioniert – eine Trendwende ließ sich nicht herbeiführen. An verkaufsoffenen Sonntagen oder »Black Fridays« spielen alle Contra-Argumente wie vermeintlich mangelnde Attraktivität der Gütsler Innenstadt oder vermeintlichnmangelnde Parkmöglichkeiten plötzlich keine Rolle mehr. Die Stadt ist dann voll. Aber im Kern haben wir es damit zu tun, dass das relativ neue »Multi-Medium« Internet ein großes Versprechen bietet: Alles ist 24/7 im heimischen Wohnzimmer verfügbar. Und das auch noch kostenlos oder jedenfalls billig. Und wird bequem nach Hause geliefert. Und in gewisser Hinsicht wird dieses Versprechen ja auch erfüllt (wenn man die besagten Kanäle ausblendet, die das Internet nicht besetzen kann). Kein Mensch kauft mehr Lexika, CDs , DVDs, Pornos … Ikea ist so dumm, den gedruckten Katalog abzuschaffen (was sie nicht begreifen: Den Katalog blättert man mal so durch und lässt sich inspirieren – einen Onlineshop kann man nicht »durchblättern«, außerdem muss man schon gezielt die Website aufrufen – den Katalog hatte jeder im Briefkasten) … Man müsste darüber nachdenken, wie man die (auch vorhandenen) Nachteile des Internets besser ausnutzen kann … falls das überhaupt möglich sein sollte. Wahrscheinlich wird der lokale Einzelhandel niemals verschwinden … aus den genannten Gründen. Und Beispiele gibt es viele: Trauringe kann man nicht online anprobieren, anpassen lassen oder sich beraten lassen. Brautkleider auch nicht. Ein Onlineshop sagt einem auch nicht: »Das steht Ihnen aber gut! Dazu würde ich Ihnen noch diesen Schal empfehlen, der passt auch farblich sehr gut!« … und in einen Onlinesupermarkt kann man nicht mal schnell reinmarschieren und sich ein Kilo Tomaten, ein Stück Butter und einen Müsliriegel holen. Amazon kennt auch nicht den Literaturgeschmack des Kunden und hat kein Regal mit »schräger Literatur«. Oder einen Tisch mit Neuerscheinungen (bestenfalls werden einem ein paar Bestseller eingeblendet). Das ließe sich bestimmt noch endlos fortsetzen. Ein interessantes Thema ist auch die Wikipedia. Kein Mensch kauft mehr Lexika. Aber ein Lexikon kann man sich auch mal durchlesen – die Wikipedia kann man sich nicht »durchlesen«. Die meisten Lemmata sind überkomplex, viel zu lang und gehen zu sehr in die Tiefe (was will man als Laie mit Differentialgleichungen, Einsteinschen Feldgleichungen oder überhaupt mit höherer Mathematik anfangen? Kein Mensch käme auf die Idee, so etwas in einem Lexikon abzudrucken). Das Problem ist, dass es keine Redaktion gibt. Das meiste ist auch in schlechtem Deutsch geschrieben. Weil jeder dort etwas schreiben kann. Die Wikipedia wird von einer Admin-Mafia beherrscht, die entscheidet, was dort steht und was nicht. Deren Autorität beruht darauf, dass sie lange Mitglied sind und/oder viel geschrieben haben – das ist nicht mit einer klassischen Lexikonredaktion vergleichbar. Zumal ja die Frage ist, was jemanden überhaupt dazu motiviert, dort etwas zu schreiben – das dürften wohl eher Klugscheißer sein. Normalerweise will man ein Lexikon lesen – nicht eines schreiben. Ein Beispiel ist der Gütersloh-Eintrag, der ist preisgekrönt. Schön und gut. Aber viel zu umfangreich, so würde er in keinem Lexikon auftauchen. Was will jemand damit anfangen? Soviel will man gar nicht wissen und kann es sowieso nicht behalten. Es müsste viel besser auf den Punkt gebracht werden, wie es eben Lexikonredaktionen tun. Und letztlich: Wenn man es wirklich wissen will, dann sind die Einträge wiederum zu kurz – dann müsste man schon eines oder mehrere Fachbücher lesen. Oder studieren. Das ist alles Nonsens. Der Autor hat zum Beispiel mal Jörg Friedrichs Buch »Yalu« gelesen. 500 Seiten nur über die Endphase des Koreakriegs. Und auch nur deshalb gelesen, weil sein Buch »Der Brand« über den Bombenkrieg in Deutschland so gut ist. Gemerkt hat er sich nur ein paar Brocken, die man auch im Lexikon finden könnte. Wer beschäftigt sich schon mit so etwas – vielleicht ein paar Historiker. Soviele Bücher wie es gibt, kann man gar nicht lesen. Und soviel Wissen wie es gibt, kann man sich gar nicht aneignen oder behalten. Wobei 90 bis 95 Prozent des Wissens in Wirklichkeit nur unbewusst stattfinden und so unbewusst unser Denken und Handeln beeinflussen. Es gibt einen schönen ironischen Satz, der in etwa so geht: Früher wussten wenige Leute viel über weniges. Im Laufe der Zeit wussten immer mehr Leute immer weniger über immer mehr. Heute wissen alle nichts über alles.