Kommentar von Dennis Riehle, Geschichte muss erklärt, nicht aussortiert werden!

Eigentlich hatte ich gedacht, dass wir aus der »Verbieteritis« der vergangenen Jahre gelernt haben. Doch die politische Korrektheit hat wieder zugeschlagen: #Geschichte verändern wir nicht, indem wir sie aus unserem #Gedächtnis zu streichen versuchen. Dies müsste gerade uns Deutschen angesichts der schrecklichen Vergangenheit des 20. Jahrhunderts bewusst sein. #Kultur anpassen zu wollen, ähnelt dem Ansinnen, eine gesellschaftliche DNA mit Zwang zu retuschieren. Meinen wir ernsthaft, die Welt würde sich zum Besseren wandeln, wenn wir Bücher und Filme aus den Regalen nehmen, aus falsch verstandener Vorsicht, Scham und dem Knicks vor dem erhobenen Zeigefinger einer Moral der besserwisserischen Ãœberheblichkeit? Ich frage mich: Wieso hat sich noch vor 20 Jahren niemand am Umstand gestoßen, dass Winnetou schon damals in einer schongefärbten Idylle der Bruderschaft bei gleichzeitigem Bedienen von Vorurteilen und lange überwunden geglaubter Vorstellungen über den nicht-weißen Mann in den Kinderzimmern der Nation bedenkenlos selbstverständlich vorgelesen wurde?

Wir wussten auch da schon über unsere festgefahrenen und formelhaften Bilder von fremden Völkern, mit denen wir Unrecht verbreiteten und aus Naivität und Unwissenheit Ressentiments unterstrichen, die verletzt haben und stigmatisierten. Doch statt sdem öffentlichen Druck der Minderheit nachzugeben und die Verbreitung von Schriften zu stoppen, hatten Eltern früher noch die Fähigkeit, ihren Kleinsten zu erklären, dass sich manch eine Erzählung aus der Historie nicht an der eigentlichen Wahrheit, sondern viel mehr an kolonialen und die Rassen trennenden Visionen orientierten, die – furchtbarerweise – vor 130 Jahren noch zur Normalität gehörten und über deren Schuldhaftigkeit sich die nur im Anschein befindliche #Zivilisation des Westens, wie so oft, gerade nicht im Klaren war.

Dass man #Texte aus vorvergangenen Zeiten im jeweiligen Kontext der einstigen Gegenwart verstehen muss, das macht uns bereits die notwendige Exegese der Bibel überaus deutlich – denn andernfalls hätten wir auch diese älteste Schrift schon lange aus dem Verkehr ziehen müssen. Immerhin sind Gewalt, Vertreibung und Unterdrückung kaum anderswo so dramatisch dokumentiert wie in den Überlieferungen des Alten und Neuen Testaments. Doch weil wir uns heute in der glücklichen Lage sehen, diese Zeilen im Kontext zu sehen, stößt sich Gott sei Dank bislang kaum jemand daran, sie den nächsten Generationen weiterzugeben. Nehmen wir also weder Theologen, noch Vater oder Mutter aus der Verantwortung, ihren Schäfchen Karl May oder die Psalmen zu interpretieren und damit das Gedächtnis an mehr oder weniger glaubhafte Realitäten des Vorgestern wachzuhalten. Während wir die Erinnerungskultur an den Nationalsozialismus zu Recht erhalten wollen und die Berichte über das Geschehene an die kommende Menschheit weitergeben möchten, verbannen wir Apachen aus dem Sortiment.

Wir agieren bei den Indianern wohl nach dem Motto: »Aus den Augen, aus dem Sinn!«. Warum machen wir uns nicht die Mühe, mit Büchern eine Mahnung aufrechtzuerhalten, als ein schlechtes Beispiel dafür, welches Denken und Handeln unserer Vorfahren Leid und Segregation über jene Völker gebracht haben, gegenüber denen wir uns überlegen sahen? Zeigen wir Kindern auf, dass der Tenor nach Versöhnung und Ebenbildlichkeit, die Winnetou eben auch vermittelt, ein erstrebenswertes Ziel ist – aber bisher viel zu wenig gelebt wurde! Der pädagogische Auftrag liegt bei uns allen. Weil wir uns heute aber vor lauter Furcht, schon wieder ins nächste Fettnäpfchen der Gutmenschlichkeit zu treten, nicht einmal mehr zu einer kontroversen Auseinandersetzung hinreißen lassen und Verlage ihre Bücher in Angst vor der Keule des Totschlagarguments lieber zurückziehen, scheinen wir auch nicht mehr fähig, die Weiterentwicklung der Kultur selbstbewusst und ohne Verleumdung des Zurückliegenden zu vertreten. Dass wir Konflikten aus dem Weg gehen, indem wir uns jedwedem Shitstorm beugen, ist ein Zeichen von fehlender Debattenbereitschaft. Das eigentliche Armutszeugnis bleibt also die Tatsache, dass wir uns nach dem Diktat der Wenigen richten.Â