#Handwerk ist wichtig und kämpft doch um #Wertschätzung

  • Sowohl Alternative als auch Ergänzung zum Studium – eine Ausbildungsbotschafterin der Handwerkskammer erzählt

Mannheim, 25. Mai 2022

In einer groß angelegten Werbekampagne stellte der Zentralverband des Deutschen Handwerks zu Beginn des Jahres Millionen von Fernsehzuschauern die Frage, wann wir Menschen es eigentlich verlernen, zum »Begreifen« die Hände zu benutzen. Die bundesweite Kommunikationsoffensive beobachtete Kinder in einem Spot beim #Malen, #Bauen, #Gestalten – kurzum: beim Handwerken. Der Schluss daraus ist so naheliegend wie eindeutig: Handwerk liegt in der Natur des Menschen. Nur: Was hindert so viele daran, es zum #Beruf zu machen?

Die Frage ist kritisch. Die Thesen sind provokant. »Die meisten Kinder wollen irgendwann mal was mit Handwerk machen. – Bis Erwachsene sich einmischen«, liest man auf einem der Plakate zur Imagekampagne. Und immer wieder die Folgerung: »Hier stimmt was nicht.« Handwerk hat ein Image, das nicht zu seiner Leistung passt. Das ist nicht einfach ein Gefühl. Es bestätigt sich tagtäglich. Gerade dann, wenn man mit jungen Leuten spricht, denen sich rund um die Berufswahl ein Fächer an Möglichkeiten entfaltet, unter denen die handwerkliche Ausbildung oftmals in den Hintergrund gerät. Anna Staudt ist Ausbildungsbotschafterin der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald. Sie weiß aus vielen Gesprächen, was Schüler am Wendepunkt zur Berufsentscheidung interessiert. Und sie weiß aus eigener Erfahrung, dass es nicht einfach ist, den eigenen Weg zu finden.

Denn unabhängig und losgelöst von Beeinflussung geschieht die Berufswahl eher nicht. Freunde, Schule, Eltern, gewissermaßen die ganze Gesellschaft geben vor, was attraktiv zu sein verspricht. Natürlich wünschen sich Eltern für ihre Kinder das »Beste« und vermuten darin ein Studium. Und so gehen junge Frauen und Männer nach dem Abitur an die Uni, studieren »irgendwas« und sind nicht selten frustriert. »In meinem Umfeld habe ich diesen Zwang nicht erleben müssen und bin froh, dass ich und viele meiner Freunde die Berufswahl selbst treffen durften«, sagt Anna Staudt. »Aber ich kenne auch Zahlreiche, die mir genau das Gegenteil berichten - vor allem seit meiner Ausbildung. Viele bekommen gar nicht die Chance, das Handwerk in Betracht zu ziehen. Sie werden von Haus aus zu einem Studium verleitet. Auch in der Schule. Schulabgänger haben, vor allen in den höheren Stufen, gar nicht die Option, eine Wahl zu treffen, weil sie die verschiedenen Möglichkeiten nicht richtig kennen, da diese ihnen nicht nahegebracht werden.«

Auch aus diesem Grund unterstützt die Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald mit ihrer neuen Ausbildungsinitiative »Das isses!« bei Fragen rund um die Ausbildung. Die regionale Kampagne ist für das Handwerk initiiert und richtet sich an Schüler, Eltern, Betriebe, Auszubildende und Schulen, die über verschiedene Kanäle angesprochen werden. So gibt es beispielsweise eine Reihe mit kurzen Clips bei TikTok, in denen Auszubildende selbst erzählen, wie sie zum Handwerk kamen.

Auch Anna Staudt hat ihren Weg gefunden, wenn auch über Umwege. Nach dem Realschulabschluss holte die 25-Jährige aus Heidelberg ihr Abitur nach, legte ein freiwilliges soziales Jahr ein und landete schließlich an der Uni, wo sie drei Semester Geographie studierte. Dann kam der Abbruch. »Ich musste mir eingestehen, dass ich kein Mensch bin, der den Großteil seines Lebens hinter einem Schreibtisch verbringen kann«, sagt sie. »Ich brauche die körperliche Arbeit.« Jetzt ist sie im dritten Ausbildungsjahr ihrer Schreinerlehre und rundum zufrieden damit.

Dass Handwerk unter der Fehleinschätzung leidet, »klugen Köpfen« keine Perspektive zu bieten, findet die Ausbildungsbotschafterin der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald schade. »Ich denke, dass viele Menschen nicht sehen, wie viel hinter manchen Arbeiten steckt«, meint sie. »Aufgrund der technologischen Entwicklung und des Fortschritts steht das Handwerk nie still. Man muss sich immer weiterbilden, lernt neue Wege kennen und baut sein Wissen aus.« Meisterschule, Technikerabschluss oder Weiterbildungen bieten Möglichkeiten zum Aufbau und sind Sprossen auf einer Karriereleiter, die man hoch hinaufklettern kann. Selbst erfolgreiche Uni-Absolventen schätzen die handwerkliche Perspektive on top ihres Studienabschlusses. »Ich habe Klassenkameraden, die schon einen Bachelor haben und sich das Handwerkliche aneignen wollen, sodass sie dieses mit in ihr Wissen aufnehmen können«, sagt Anna Staudt.

Und es funktioniert auch in umgekehrter Richtung: Für manche ist die Ausbildung der Startschuss in ein Studium. Oder man bleibt der Werkstatt ganz ohne Uni treu. Weil man nämlich liebt, was man tut. »Egal, in welche Richtung man gehen möchte – es findet sich immer ein passender Handwerksberuf«, sagt Anna Staudt. »Jede abgeschlossene Ausbildung bringt einen weiter. Man lernt etwas fürs Leben.«

Die Perspektiven im Handwerk sind bestens. Bundesweit fehlen aktuell rund 250.000 Fachkräfte, 20.000 Ausbildungsplätze bleiben jedes Jahr unbesetzt, was den schon bestehenden Fachkräftemangel noch akuter macht und in der Zukunft verstärkt. Analog zum Gesamttrend kämpfen auch die Betriebe im Gebiet der Handwerkskammer Mannheim Rhein-Neckar-Odenwald um ihren Nachwuchs. Im Jahr 2021 haben 1.665 junge Menschen eine Ausbildung im Handwerk der Region begonnen, 42 mehr als 2020, aber auch 93 weniger als noch vor #Corona 2019. Alle offenen Stellen konnte das nicht schließen. Selbst die Tatsache, dass die Arbeitslosenquote im Handwerk deutlich niedriger ist als in den meisten akademischen Berufen, dass es die Möglichkeit, sich selbständig zu machen oder einen etablierten Betrieb zu übernehmen durch den demografischen Wandel quasi auf dem silbernen Tablett serviert und dass das Handwerk Verdienstmöglichkeiten bietet, die bei vielen Hochschulabsolventen nicht besser sind, konnte daran nichts ändern. Eine #Forsa Studie aus dem Herbst 2021 macht deutlich, wie widersprüchlich das Empfinden ist: Handwerk ist wichtig (sagten 91 Prozent), Handwerk bietet sichere Arbeitsplätze und gute Zukunftschancen (sagten 80 Prozent) und doch fehlt es ihm an Wertschätzung, was die kleine Zahl von gerade einmal 36 Prozent verdeutlicht, die sein Ansehen als »hoch« einstuft.

Wie die Kampagne des Handwerks schon sagt: »Hier stimmt was nicht.« Es braucht ein Umdenken in der Gesellschaft, einen Wandel in der Wahrnehmung, national und regional, damit es wieder mehr junge Menschen wie Anna Staudt gibt, die auf die Frage, ob eine Lehre im Handwerk eine echte Alternative zum Studium ist, voller Ãœberzeugung sagt: »Qualität und Quantität werden im Handwerk gebraucht und gesucht. Deshalb: Ja, eine Ausbildung kann eine Alternative zum Studium sein und gleichzeitig eine sinnvolle Ergänzung.«