Westfälischer Archivtag, Notfallhilfe und Digitalisierungsschub beschäftigen Archiv Fachleute

Münster, Westfalen-Lippe (lwl) Seit Dienstag, 15. März 2022, geht es für über 400 Archiv Fachleute auf dem Westfälischen Archivtag darum, wie man analoges und digitales Archivgut sichert, nutzt und vermittelt. Das zweitägige Treffen, veranstaltet vom Archivamt des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (#LWL), findet virtuell im Internet statt. Schwerpunkt der Diskussionen sind das Notfallmanagement von Archiven bei #Naturkatastrophen und die #Digitalisierung.

Notfallhilfe

Von der Flutwelle 2021 im Ahrtal, im Rheinland und im südlichen Westfalen waren auch viele Archive betroffen, schriftliches Kulturgut wurde beschädigt oder vernichtet. »Notfallprävention und Notfallhilfe bleibt angesichts des Klimawandels das Thema der kommenden Jahre«, so LWL Kulturdezernentin Dr. Barbara Rüschoff-Parzinger. Es würden in Zukunft nicht weniger, sondern mehr solcher Ereignisse wie Starkregen die Menschen, aber eben auch die Archive bedrohen. »Darauf müssen wir uns einstellen. Der LWL wird den Archiven mit seinem Fachwissen und seinen Fachleuten helfen.«

Dr. Marcus Stumpf, Leiter des LWL Archivamtes, berichtete von den Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr: »Die Fachleute aus unserer Werkstatt waren im Juli auch in den überschwemmten Gebieten vor Ort. Die LWL-Kolleg:innen sind mit Notfallboxen angerückt, haben angeleitet, selber Archivgut geborgen, gereinigt, in Folie eingeschlagen und für die Gefriertrocknung vorbereitet.«

Jetzt würden diese Erfahrungen und eine Analyse der Schadensereignisse genutzt, um weitere Initiativen zum Erhalt des schriftlichen Kulturguts in Westfalen-Lippe zu entwickeln. Ziel sei ein »möglichst flächendeckendes Unterstützungssystem«: »Es gibt sogenannte Notfallverbünde bereits in Detmold, Münster und anderen Kommunen. Das soll ein wenig so funktionieren wie bei den Feuerwehren - jeder hilft den anderen dort, wo ein Archiv von einem Schaden betroffen ist.«

Digitalisierung

Am Mittwoch, 16. März 2022, sei #Digitalisierung das zentrale Thema auf dem Archivtag, denn die die Digitalisierung habe durch die #Corona #Pandemie auch für die Archive eine neue Dynamik bekommen, so Stumpf. »Archivgut wird durch Digitalisierung schneller verfügbar, aber alles zu digitalisieren wäre aufwendig und teuer.« Hier gelte es, gute Strategien zu entwickeln.

Auch die Verwaltung werde immer digitaler: Die wichtigsten Prozesse wie zum Beispiel Baugenehmigungsverfahren seien meist schon digital, die Kommunen verabschiedeten sich aber inzwischen oft ganz von der Aktenführung auf Papier. »Konzepte und Standards für die elektronische Langzeitarchivierung haben wir«, sagte Stumpf: »Jetzt gilt, es diese möglichst flächendeckend umzusetzen, und das geht am sinnvollsten im Verbund, weil dann Know how gebündelt wird und Kosteneinsparungen möglich sind.« Der LWL unterstützt die Kommunalarchive bereit bei der elektronischen Archivierung und will das in allen Digitalisierungsfragen tun, von der Strategieentwicklung bis zur Umsetzung. 

Hintergrund

  • »Nicht fönen, sondern einfrieren«, LWL Expertin half nach Hochwasser bei Archivrettung

Auch das Rathaus in Leichlingen hatte es erwischt. Starkregen und Hochwasser im Juli 2021 setzte den Rathaus-Keller in der rheinischen Stadt nördlich von Köln komplett unter Wasser. Eine Spezialistin des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) half bei der Rettung des Leichlinger Stadtarchivs, nachdem betroffene Archive in Westfalen-Lippe versorgt waren.

»Erst die Menschen, dann das Material«, sagt Birgit Geller, Chef-Restauratorin beim LWL Archivamt in Münster. Die Reihenfolge der Rettung sei ja klar bei solchen Hochwasser-Lagen. Aber Material gebe es eben reichlich, und schnell müsse es bei der Rettung von Archiven auch gehen: »Je mehr Schimmel wächst, desto stärker leidet das Archivgut bis hin zum Totalverlust.«

Nach der Bergung von wertvollen Archivalien müsse man dem ersten Impuls widerstehen, nach dem Fön zu greifen. »Eigentlich will ja jeder, dass alles wieder schnell trocken wird, doch das ist bei derartigen Mengen unmöglich. Was geborgen ist, wird gereinigt, verpackt und dann eingefroren«, so Geller. Wichtig sei auch, das geborgene Material fotografisch zu dokumentieren, damit Zustand und Verbleib nachvollzogen werden könne. »Das später alles zuzuordnen, wird die Archivarinnen und Archivare später noch genug Zeit kosten.«

»Nasse oder feuchte Akten werden am besten in Stretchfolie gepackt und wie Gemüse tiefgefroren, um sie vor Schimmel und Verklebungen zu schützen«, erläutert die Diplom-Restauratorin, die drei Tage an der Rettungsaktion in Leichlingen teilnahm. Auf Paletten gepackt und »gestretcht« kam das Archivgut in Kühlhäuser, wo es bei Temperaturen von minus 22 Grad neben Tiefkühlerbsen oder Hähnchenschnitzeln stehen kann. Irgendwann geht es dann weiter in eine Vakuum Gefriertrocknungsanlage, wie sie auch beim LWL Archivamt in Münster steht. Dort werden die Akten dann einem Vakuum ausgesetzt. »Das Eis wird dadurch sofort gasförmig und kann abgesaugt werden, ohne dass der Schimmel eine Chance hat.«

Rund 1,5 Meter hoch stand das Wasser im Keller des Leichlinger Rathauses. Aus den Regalen kam das nasse Papier den Einsatzkräften entgegengequollen. Als die Stadt um Hilfe rief, ließ sich die LWL Expertin aus Münster freistellen, um die Rettung der Akten in Leichlingen zu unterstützen. »Wir haben die freiwilligen Helferinnen und Helfer angeleitet, auf einem Schulhof drei Stationen für die Erstversorgung der Akten, Karten und Fotomaterialien aufgebaut und losgelegt«, erzählt die 51 Jährige. Rund 100 Regalmeter an Akten, Plänen und Fotos, schätzt Geller, seien so auf Paletten in Kühlhäuser gekommen, »eine tolle Leistung«. Das Engagement der #Helfer habe sie beeindruckt.

Am schwierigsten sei es gewesen, die Fotomaterialien und Filmmaterialien zu sichern. Geller: »Wenn Fotos und Negative lange im Wasser gelegen haben, ist die Bildschicht stark aufgequollen. Den Schmutz kann man dann nur sehr vorsichtig abspülen. Manchmal ist es sogar unmöglich. Bei vielen Farbfotos und Farbnegativen war das #Bild bereits komplett verschwunden.«

Gellers Rat, auch für private Keller: »Ã–fter in den #Keller gucken, eventuell Entfeuchter aufstellen, Regale nicht direkt an die Wände stellen, das unterste Regalbrett mindestens 20 Zentimeter über dem Boden.« Bei #Flutkatastrophen wie im Juli helfe das natürlich auch nicht. »Dann bleibt nur: was einem wirklich lieb und teuer ist, nicht im Keller lagern.«