Bahnlärm – aktive Maßnahmen des Schallschutzes gegen Jahrzehnte betriebene Bahnstrecken

Möller & Prell PartnGmbB, Rechtsanwälte, Röderstraße 18, 67549 Worms, 25. Februar 2022

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem dort anhängigen und von einem halben Dutzend (Muster-) Klägern aus Herten betriebenen Rechtsstreit um aktive Maßnahmen des Schallschutzes gegen eine seit Jahrzehnten betriebene Bahnstrecke am 24. Februar 2022 (Aktenzeichen I24 U 102/14) entschieden, dass beim Scheitern eines gerichtlichen Vergleichsvorschlages die bereits eingeleitete Beweisaufnahme fortgesetzt werden wird.
Das klingt unspektakulär, ist aber für bundesweit zahlreiche Klageverfahren von Anliegern bestehender Bahnstrecken wegen des Betriebslärms von weittragender Bedeutung. Denn damit ist ein Anspruch von Bahnanliegern auf mehr Lärmschutz obergerichtlich vorgezeichnet.

Bundesweit klagen Dutzende von Anlieger bestehender Bahnstrecken gegen die DB Netz AG auf aktive beziehungsweise passive Maßnahmen des Schallschutzes. Sie fordern die Einhaltung des in der Verkehrslärmschutzverordnung geregelten Grenzwertes von nachts 49 dB(A) an den Außenfassaden der Wohnhäuser. Die Bahn bietet regelmäßig nur eine Sanierung aus Haushaltsmitteln des Bundestages zu Gunsten eines Wertes von heute 54 dB(A) an. Der Unterschied ist angesichts des logarithmischen Maßes dieser Einheit Dezibel gewaltig. Denn eine Verdopplung der Zahl der Züge bewirkt eine Steigerung des Lärms um 3 Dezibel.

Für keine dieser Bahnstrecken wurden seit Inkrafttreten des Verwaltungsverfahrensgesetz im Jahr 1976 ein eisenbahnrechtlicher Planfeststellungsbeschluss mit einer Genehmigung des jetzt auftretenden Bahnlärms erlassen. Nach Paragraph 8 Allgemeines Eisenbahngesetz – und den entsprechenden Vorgängerregelungen bis zurück in Zeiten Preußens und des Deutschen Reiches – bedürfen Bau und Betrieb einer Bahnstrecke einer solchen Planfeststellung. Dabei ist unter Abwägung des Rechtes auf Eigentum und Gesundheit der Anwohner einerseits und der Betriebsinteressen der Bahn andererseits auch über das zulässige Maß des Bahnlärms zu entscheiden.

Die DB Netz AG hält den Klagen rechtlich in allen Prozessen entgegen, zivilrechtliche Ansprüche auf Lärmschutz seien deshalb ausgeschlossen, weil die jeweiligen Bahnstrecken aufgrund einer so bezeichneten »fingierten Planfeststellung« beziehungsweise einer »fingierten Widmung« betrieben würden und das Verwaltungsverfahrensgesetz die Bahn gegen weitergehende Ansprüche auf Lärmschutz schütze.

Die Landgerichte Dortmund und Bochum sind in den letzten Monaten dieser Rechtsansicht in noch nicht rechtskräftigen Urteilen gefolgt. Das Oberlandesgericht Braunschweig war der DB Netz AG dagegen nicht gefolgt, weshalb diese dort sich mit dem Kläger auf einen Vergleich zur Finanzierung des Schallschutz geeinigt hat. In parallelen Rechtsstreitigkeiten etwa vor den Landgerichten Aschaffenburg, Darmstadt, Koblenz, Köln und dem Oberlandesgericht Düsseldorf stehen die Gerichtsentscheidungen in den nächsten Monaten an.
Die DB Netz AG hatte gehofft, dass das Oberlandesgericht Hamm die Klagen abweist und das erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bochum aufhebt.

Dem ist das Oberlandesgericht nicht gefolgt, sondern hat am 24. Februar 2022 entschieden, die Beweisaufnahme fortzusetzen.

Die Kläger und ihr Rechtsanwalt Matthias Möller aus Frankfurt bewerten dies als wichtigen Etappenerfolg. Die DB Netz AG ist damit vor dem Berufungsgericht mit ihrem Vortrag rechtlich nicht durchgedrungen, dass Ansprüche auf aktive Maßnahmen des Schallschutzes durch eine so bezeichnete »fingierte Planfeststellung« beziehungsweise eine »fingierte Widmung« des Betriebes der Bahnstrecke ausgeschlossen seien.

Bereits in der Hauptverhandlung hatte das Oberlandesgericht Hamm im Januar 2022 erkennen lassen, dass angesichts der vom beauftragten Sachverständigen berechneten Fassadenpegel die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Lärmschutz durch »wesentliche Beeinträchtigungen« – so die Voraussetzung der Anspruchsnorm des Paragraphen 906 BGB – der Wohnnutzung als Folge des Bahnlärms erfüllt sind. Mit einem einschlägigen Urteil des Bundesgerichtshofs bejaht das Berufungsgericht auch einen Lärmschutz nach Maßgabe der Vorsorgewerte von tags beziehungsweise nachts 59 beziehungsweise 49 Dezibel des Planungsrechts. In dem Wohngebiet sei auch solche Lärm nicht ortsüblich.

Im Rahmen der fortzusetzenden Beweisaufnahme wird nun durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen zu klären sein, welche notwendigen aktiven Maßnahmen des Schallschutzes der DB Netz AG geeignet und wirtschaftlich zumutbar sind. Bereits in der ersten Hauptverhandlung hatte das Gericht erkennen lassen, dass Maßstab dafür nicht das Gesellschaftsvermögen der Aktiengesellschaft, sondern der Bundeshaushalt ist, weil die DB Netz AG zu 100 Prozent im Eigentum des Bundes steht.

Die Kläger erwarten daher, dass ihnen über den Bau der bereits in Teilen in Herten errichteten Lärmschutzwand von 3 Metern Höhe weitergehende aktive Maßnahmen der Schallschutzes durch das Oberlandesgericht zugesprochen werden.

Zur Vermeidung einer Fortsetzung der Beweisaufnahme hat das Gericht zugleich einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, der Zahlungen der DB von bis zu 55.000 Euro pro Hausgrundstück vorsieht. Darüber werden die Prozessparteien je einzeln bis April 2022 zu entscheiden haben.

Bei dem Rechtsstreit handelt es sich um ein Musterverfahren, auf dessen Ausgang mehr als 100 Anwohner in Herten warten. »Wir werden der Presse über den Fortgang der Rechtsstreitigkeiten berichten«, so die Kanzlei.

Dokument von 2016, Oberlandesgericht Hamm verhandelt den Rechtsstreit über Bahnlärm an der Bahnlinie Hamm Oberhausen, Osterfeld

Der 24. Zivilsenat verhandelt am 2. Februar 2016 die unter dem Aktenzeichen 24 U 102/14 anhängige Berufung der beklagten DB Netz AG gegen 8 klagende Anlieger der Bahnlinie Hamm Oberhausen, Osterfeld aus Herten. Die Berufung der Beklagten richtete sich gegen das am 30. Juli 2014 verkündete erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Bochum (erstinstanzliches Aktenzeichen 6 O 443/09 LG Bochum).

Die Beklagte betreibt und unterhält die Bahnlinie Hamm Oberhausen, Osterfeld. Die 1905 errichtete und seit 1912 zweigleisige Bahnstrecke wird ausschließlich für den Güterverkehr genutzt. Die Kläger, Anlieger der Straßen Platanenweg, Reitkamp und Kreuzweg in Herten, verlangen von der Beklagten die vom Bahnbetrieb ausgehenden Lärm und Erschütterungsemissionen auf eine bestimmte Laustärke zu begrenzen sowie – 2 Kläger – beim Bahnbetrieb eine bestimmte Schwingstärke nicht zu überschreiten.

Das Landgericht hat Sachverständigengutachten zu Schall und Erschütterungsemissionen eingeholt. Mit dem angefochtenen Urteil vom 30. Juli 2014 hatte es entschieden, dass die Beklagte die von den Zügen ausgehende Lärmbeeinträchtigung nicht einschränken müsse und damit keinen »aktiven Lärmschutz« schulde. Die Beklagte habe aber einigen Klägern die Kosten für den Bau und Unterhalt gegenwärtiger und künftiger »passiver Schallschutzmaßnahmen« zu erstatten, die geeignet und notwendig seien, um wesentliche Beeinträchtigungen durch mit dem Betrieb der Bahnstrecke verbundenen Verkehrsgeräusche abzuwenden. Die wesentliche Beeinträchtigung mit Geräuschimmissionen sei nach den erstatteten Sachverständigengutachten bei einem Teil der Grundstücke tagsüber und nachts und bei einem weiteren Teil der Grundstücke nachts festzustellen. Wesentliche Erschütterungsimmissionen seinen demgegenüber nicht festzustellen gewesen, so dass den Klägerin insoweit keine Unterlassungsansprüche zustünden.

Gegen das erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, weil sie aus Sachund Rechtsgründen der Ansicht ist, den Klägern keinen weiteren Schallschutz zu schulden. Die Kläger haben sich der Berufung angeschlossen, um den vom Landgericht abgelehnten »aktiven Lärmschutz« und den Schutz vor Erschütterungen durchzusetzen.

In der für den 2. Februar 2016 anberaumten mündlichen Verhandlung wird der 24. Zivilsenat die Sach und Rechtslage sowie den Fortgang des Berufungsverfahrens mit den Parteien und ihren prozessbevollmächtigten Rechtsanwälten erörtern.