Brüssel (ots) Die sich verschlechternde Lage in Afghanistan schockiert die ganze Welt und immer noch überschlagen sich täglich die Nachrichten, die uns von dort erreichen. Engin Eroglu, Europaabgeordneter der »Freien Wähler« und Mitglied der Afghanistan-Delegation sowie des Ausschusses für Auswärtigen Angelegenheiten, gibt seine Einschätzung.

Eroglu sieht den Schutz der Bevölkerung als oberste Priorität: »Seit die Taliban die Macht in Afghanistan übernommen haben, werden wir täglich mit schockierenden Szenen konfrontiert. Menschen, die sich verzweifelt an abfliegenden Flugzeugen festhalten oder über Mauern mit Stacheldraht klettern – dies sind nur die sichtbarsten Anzeichen für die Verzweiflung des afghanischen Volkes. Jetzt wo klar ist, dass der Flughafen am 31. August 2021 an die Taliban übergeben werden muss, ist es offensichtlich, dass die Evakuierung sehr bald enden wird. In Absprache mit unseren internationalen Partnern ist es jedoch weiterhin unerlässlich den Menschen vor Ort, die aus einer sehr gefährlichen Situation fliehen, sofortigen und vorübergehenden Schutz zu gewähren. Dabei dürfen wir uns nicht von der Flüchtlingskrise von 2015 lähmen lassen. Wir können dem afghanischen Volk in einer Zeit, in der es uns mehr denn je braucht, nicht den Rücken kehren.«

Eroglu weiter: »Dazu bedarf es weiterhin enger Kooperation und Koordinierung mit NATO Partnern vor allem der US-Regierung, die unsere Arbeit in Afghanistan maßgeblich unterstützt haben und ohne die auch die Evakuierungsmissionen am Kabuler Flughafen ansonsten nicht möglich gewesen wären. Das muss man so nochmal ganz deutlich sagen. Allerdings hat auch der Afghanistan Einsatz gezeigt, dass es wichtig ist sich nicht zu abhängig von den USA zu machen, vor allem da wir nicht davon ausgehen können, dass die US Führung weiterhin ›Welt-Polizist‹ spielen wird. Hier muss die Bundesregierung international mehr Verantwortung übernehmen, um in im Krisenfall auch selbst realistische Entscheidungsmöglichkeiten zu haben und mehr Einfluss am Verhandlungstisch ausüben zu können.«

Die Notwendigkeit jetzt entschlossen und schnell zu handeln, hebt Eroglu besonders hervor und kritisiert das Versagen der Bundesregierung: »Viel zu lang hat die Bundesregierung die Augen vor den Geschehnissen in Afghanistan verschlossen. So hat sie nicht nur verschlafen sich rechtzeitig um die Ortskräfte zu kümmern, sondern auch die Evakuierung zu spät begonnen und nun versäumt konkrete nächste Schritte zu präsentieren, um das Leiden der Menschen vor Ort zu lindern. Wir müssen schauen wie die Taliban sich verhalten, aber es ist definitiv sinnvoll sofort humanitäre Korridore der UN für die Bevölkerung zu aktivieren, denn eine humanitäre Krise unglaublichen Ausmaßes entfaltet sich vor unseren Augen. Die Zahl der Menschen, die zur Flucht gezwungen werden, wird sich mit Sicherheit noch beschleunigen, wenn zu den Folgen von Krieg und Unterdrückung auch noch Hunger und Krankheiten hinzukommen. Folglich sollten auch temporäre Unterkünfte für Geflüchtete in sicheren Drittstaaten durch die UN eingerichtet werden. Die Welt muss handeln – und das augenblicklich und nicht erst später. Nach 20 Jahren verpfuschter Politik haben westliche Staaten eine besondere Verpflichtung, die sich anbahnende Katastrophe abzumildern.«