Wien (ots) Im Zentrum von The Body Electric: Erwin Osen – Egon Schiele stehen kürzlich im Nachlass des Elektropathologen Stefan Jellinek entdeckte, vom Leopold Museum erworbene Patient*innenporträts von Erwin Osen, der sowohl Weggefährte und Modell Egon Schieles, als auch Mitbegründer der Neukunstgruppe war. Die 1915 im Wiener Garnisonsspital II unter Jellinek angefertigten Zeichnungen werden seinen 1913 im Auftrag des Mediziners Adolf Kronfeld in der psychiatrischen Klinik Am Steinhof entstandenen Patientenporträts sowie jenen Darstellungen von Schwangeren und Neugeborenen gegenüber gestellt, die Schiele 1910 durch die Unterstützung des Gynäkologen Erwin von Graff in der II. Frauenklinik anfertigen konnte. Die Präsentation behandelt Fragen zum Entstehungshintergrund der Werke, zu Blickregime und Objektifizierung, sie skizziert darüber hinaus die biografischen Berührungspunkte zwischen den beiden Künstlern und reflektiert über ihren Beitrag zu einer „klinischen Moderne“. In seinem 1855 im Sammelband Leaves of Grass veröffentlichten Gedicht I Sing the Body Electric feierte der US-amerikanische Dichter Walt Whitman die menschliche Körperlichkeit als unsere Psyche. Whitmans Text weist damit voraus auf Osens und Schieles Interesse am menschlichen Körper als Subjekt und als jenes Medium, durch das wir uns selbst und unsere Beziehungen zu anderen erfassen. Wien um 1900 – Zentrum der klinischen Medizin, Entstehungsort der Elektropathologie Wien galt um die Jahrhundertwende als Europas Hauptstadt der klinischen Medizin – Physis und Psyche erfuhren zu dieser Zeit eine künstlerische und wissenschaftliche Zuwendung von nie da gewesener Intensität. Schiele, Osen und andere Künstler*innen standen in Kontakt zu Fachärzt*innen, die sowohl Sammler*innen als auch Auftraggeber*innen waren und ihnen ermöglichten, medizinische Einrichtungen für ihre Arbeit zu nutzen. "The Body Electric" zeigt erstmals die bisher unbekannten Blätter Osens. Sie bereichern unser Verständnis der Wiener Moderne und ihrer Kunstpraxis, die eng mit der Kultur der klinischen Medizin als patientenbezogene Praxis der Heilkunde verwoben war. Gemma Blackshaw und Verena Gamper, Kuratorinnen der Ausstellung Die Patient*innendarstellungen von Osen entstanden vermutlich im Auftrag des in Wien tätigen Mediziners Stefan Jellinek, der seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt ab den späten 1890er-Jahren auf die Erforschung der Gefahren, aber auch der medizinischen Anwendungsmöglichkeiten von Elektrizität legte. 1903 begründete Jellinek die neue Forschungsrichtung Elektropathologie, baute sukzessive eine Sammlung auf und gründete 1909 das Elektropathologische Museum. Die präsentierte Auswahl von Zeichnungen, Fotografien und Schautafeln aus Jellineks Sammlung, die heute großteils im Technischen Museum verwahrt wird, stammt mehrheitlich aus seiner Zeit als Leiter der neurologischen Abteilung am Garnisonsspital II während des Ersten Weltkriegs. Es war eine für das Leopold Museum einmalige Gelegenheit, diese bisher unbekannten Zeichnungen von Erwin Osen aus dem Nachlass von Stefan Jellinek für die Sammlung zu erwerben. Der in England lebenden Familie des Mediziners war es ein Anliegen, diese Gruppe von Werken einem Museum in Wien zu übergeben – wo sie entstanden sind und wo um 1900 auf den Gebieten der Medizin wie auch der Kunst Wegweisendes geleistet wurde. Hans-Peter Wipplinger, Direktor Leopold Museum Erwin Osen als Künstler und Patient – Porträtkunst und Figurendarstellungen in klinischen Einrichtungen Osen war 1915 aufgrund von chronischer Neurasthenie oder „Nervenschwäche“ selbst Patient der Nervenabteilung des Garnisonsspitals II; seine Serie von neun empathischen Porträts entstand sowohl während als auch nach seinem stationären Aufenthalt. Die Zeichnungen von Soldaten, die wohl auch elektrotherapeutisch behandelt wurden, betonen deren Verletzlichkeit und Menschlichkeit. Bereits 1913 hatte er im Auftrag von Adolf Kronfeld in der psychiatrischen Klinik Am Steinhof Patientenporträts angefertigt, die für einen Vortrag über den pathologischen Ausdruck im Porträt benötigt wurden. Ein ähnlicher Verwendungszweck für die im Garnisonsspital entstandenen Zeichnungen scheint plausibel. The Body Electric kontextualisiert Osens Porträts von Patient*innen mit Schieles einige Jahre zuvor entstandenen Darstellungen von Neugeborenen und Patientinnen der Entbindungsstation der II. Frauenklinik, die ihm der dort tätige Gynäkologe Erwin von Graff ermöglicht hatte und beleuchtet damit den Körper als jenes Objekt der Auseinandersetzung, in dem medizinisches und künstlerisches Interesse konvergierten. Osen als Impulsgeber für Schieles Werk Die Fokusausstellung umreißt zudem die nicht konfliktfreie aber fruchtbare Verbindung der beiden so unterschiedlichen Künstler in den Jahren 1909 bis 1914 – galt Osen als exaltierter Selbstdarsteller, wurde Schiele als zurückhaltend beschrieben. Während Werk und Leben Schieles seit Jahrzehnten intensiv und international beforscht werden, ranken sich um Osen Fiktionen und Gerüchte, sein bildnerisches Œuvre blieb bisher weitgehend unbeachtet und ist teils verschollen. Thematisiert werden der gemeinsam in Krumau verbrachte Sommer 1910, Schieles im selben Jahr entstandene Porträts des „Mimen van Osen“ und die Spuren der bosnischen Tänzerin Moa Mandu in den Werken beider Künstler. Schieles intensive Auseinandersetzung mit dem männlichen Körper und Fragen der sexuellen Identität, die sich in zahlreichen Akten und zum Teil dezidiert androgynen Selbstakten äußerte, mag sich am extrovertierten „Mimen van Osen“ entzündet haben oder von ihm befeuert worden sein. Der „Maler für Theater-Kunst“ Erwin Osen kann als Impulsgeber für die Vitalisierung des Körpers in Schieles Kunst angesehen werden, die entscheidend war für die Neubewertung des Körpers als Medium. Verena Gamper, Kuratorin der Ausstellung Kuratorinnen: Gemma Blackshaw, Verena Gamper